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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Einsicht von außen abschirmte, befanden sich Gartenanlagen, die bis zum Themseufer hinabreichten und zum Park von Whitehall gehörten.
    Aber von alldem konnte man an diesem Abend kaum etwas sehen. Steifbeinig und frierend kletterten die Reisenden aus den Wagen, nichts anderes im Sinn, als so schnell wie möglich in Wärme und Trockenheit zu gelangen. Harriet schwankte vor Erschöpfung, als sie die steinernen Stufen zur Haustür hinaufstieg. Dort wurde ihr von dem Dienstmädchen Samantha, das während der Abwesenheit der Familie das Haus in Ordnung hielt, geöffnet. Harriet sah sich nach Agatha um.
    »Agatha, du bringst die Kinder ins Bett«, sagte sie, »und bitte kein Geschrei mehr heute abend.«
    Joanna verzog das Gesicht.
    »Ich möchte Elizabeth aber noch das ganze Haus zeigen«, sagte sie. Agatha schüttelte den Kopf.
    »Deiner Mutter geht es nicht gut«, sagte sie, »darum werdet ihr schlafen und still sein!«
    »Mutter geht es nie gut«, maulte Joanna. Dennoch sah sie ein, daß es keinen Zweck hatte zu jammern. Sie und Elizabeth gingen hinauf auf ihr Zimmer, dessen Fenster zur Straße ging, so daß man noch im Liegen die Dächer der anderen Häuser erkennen konnte. Hin und wieder drangen Stimmen herauf, ein Lachen oder ein Rufen oder das Räderrasseln eines Wagens. Im Einschlafen fielen Elizabeth die Worte Johns ein, die er ihr sagte, ehe er sich am King’s Square von ihnen verabschiedete: »Freu dich auf diesen Winter, Elizabeth. Du verbringst ihn im Herzen des British Empire!«

5
    Das London des ausgehenden 18. Jahrhunderts war so voller Gegensätze, voller Lebendigkeit und Bewegung, daß es jedem vorkommen mußte, als seien hier die wichtigsten Ströme der Welt in einem wogenden Meer vereint. Die Stadt glich einem Hexenkessel, bunt und laut, hektisch und hysterisch, überdreht und pulsierend. Glitzer und Schmutz standen dicht beieinander, schreiende Fröhlichkeit und jämmerliches Leid, protziger Reichtum und tödliche Armut befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft. Tag und Nacht lärmte London in rauschenden Festen, in Tänzen, Besäufnissen, in Tränen und Lachen, in Flüchen, in Schlägereien und in der Liebe. Seine Lebhaftigkeit wurde führend in den europäischen Städten, nachdem der gefährliche Konkurrent Paris ganz in den rauschhaften, alles verdrängenden Bann der Revolution geraten war. In London hingegen kamen das Laster und die Lust und jede Form der Unmoral an die Herrschaft. Sie gediehen blühend auf diesem Boden des Abfalls, der Überfüllung, des grenzenlosen Reichtums, des abgrundtiefen Elends. Diese Mischung erst bot die Voraussetzung für den giftigen Sumpf, in dem die Stadt versank.
    Es war keine echte Fröhlichkeit, die in den Straßen herrschte, nicht die des Glückes und der Zufriedenheit. Es war die maßlose und fast verzweifelte Fröhlichkeit des Lebens in übermäßigem Luxus, des Überdrusses, der Ausbeutung, der verdrängten Schuld, des Ablehnens jeder Nachdenklichkeit. Die Reichen in London wußten mit ihrem Leben nichts anderes anzufangen, als es in funkelnder Pracht zu ersticken, und die Armen konnten ihr Leben nicht anders erhalten, als daß sie zu Trinkern und Verbrechern wurden. Der Adel feierte jede Nacht Feste, deren Schein und Glanz ausgereicht hätte, das ganze Land zu beleuchten, zugleich starben im Schatten seiner Palastmauern die Bettler und verhungerten in feuchten Wohnungen die Arbeiter. Nie hatten so strenge Klassenunterschiede bestanden wie in dieser Zeit, dabei
fielen in Wahrheit die Schranken zwischen Adel und in die Städte strömenden Bauern immer mehr. Die Arbeiterfrauen begriffen, auf welchem einzigen Weg sie ihre Familien am Leben erhalten konnten, und die adeligen Herren erkannten in der käuflichen Liebe eine wundervolle Abwechslung zum Ehcalltag und zum schon langweiligen Seitensprung mit den ewig gleichen Ladies. Die hungrigen, verhärmten Elendsfrauen hatten für viele Männer einen ganz ungewohnten, neuen Reiz. Die Bordelle schossen wie Pilze aus dem Boden, und die Kutschen, die abends vor ihren Türen hielten, trugen nicht selten das Wappen alter Geschlechter. Die Frauen der Lords rächten sich für diese Untreue und zogen ihrerseits los, die Nächte in fremden Betten zu verbringen. Manche geschickte Kurtisane gelangte in dieser Zeit zu beachtlichem Reichtum, manche andere aber blieb immer nur ausgenutztes Opfer und ging irgendwann zugrunde.
    Trotz oder gerade wegen dieser Zustände existierte weiterhin eine merkwürdige Doppelmoral. Es gab

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