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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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konnten. Unter ihren Füßen knirschte frostüberzogenes Gras, über ihnen blitzten helle Sterne vom überklaren, kalten, schwarzen Winterhimmel. Keiner sprach, sie rannten nur, kreuz und quer über Kieswege, durch Büsche, an heimeligen Lauben vorbei und unter den Ästen kahler Bäume hindurch. Weit hinter ihnen waren Stimmen und Lichter, vor ihnen nur Dunkelheit. Elizabeth fühlte sich wie betäubt,
als könne der Gedanke, daß sie soeben einen Menschen erschossen hatte, gar nicht bis in ihr Gehirn vordringen und werde jedesmal vor dem endgültigen Begreifen von einer barmherzigen Macht in ein unbewußtes Dunkel zurückgedrängt. Endlich, nachdem sie beide schon keinen Atem mehr hatten, lag vor ihnen der Fluß, die schwarze Themse mit ihren ruhig plätschernden, leichten Wellen.
    John blieb stehen.
    »Wo sind die Boote? Du hast von Booten gesprochen!«
    »Ich weiß nicht. Das Ufer ist lang. Vielleicht hat der Gärtner sie auch weggeräumt...«
    Die Stimmen hinter ihnen kamen näher.
    »Wir müssen schwimmen«, sagte John entschlossen, »kannst du schwimmen?«
    »Ich weiß nicht... als Kind in Louisiana habe ich mal...«
    »Du mußt es versuchen. Uns bleibt kein anderer Weg.«
    »Ich kann nicht!« Vor Kälte und Schrecken klapperten Elizabeths Zähne aufeinander. »Ich kann nicht in dieses Wasser...« Sie wollte umkehren, aber John packte sie und zerrte sie zum Ufer zurück.
    »Es hilft nichts, Elizabeth. Du hast gerade einen Mann erschossen, und du hast nur die Wahl zwischen der Themse und dem Galgen!«
    Das stinkende, verdreckte Wasser schwappte in häßlichen Geräuschen gegen die Ufersteine. Elizabeth meinte, sterben zu müssen vor Kälte und Abscheu. Sie drängte die Übelkeit zurück, die in ihr aufstieg, und watete neben John vorsichtig in den Fluß. Es wurde sehr schnell tief, im Nu stand Elizabeth bis zur Taille im Wasser.
    »Wir schwimmen am Ufer entlang und versuchen in einen Garten weiter unten zu kommen«, sagte John, dann tauchte er fort wie ein stiller, schmaler Schatten. Elizabeth preßte die Lippen aufeinander und ließ sich ins schmutzige Wasser gleiten. Die Eiseskälte fiel als jäher Schmerz über sie her, als beiße sie etwas mit messerscharfen Zähnen. Ihr Herz krampfte sich zusammen und schlug so hart und hämmernd, wie sie es noch nie erlebt
hatte. Sie bekam faulig schmeckendes Wasser in den Mund, begann zu husten und zu spucken, ihr nasses Kleid schlang sich wie eine Fessel um ihre Beine, und sie dachte, sie würde ohnmächtig von den Schmerzen, die in ihr tobten. Sie zuckte nur noch schwach mit den Armen, trieb halb besinnungslos in den Wellen und dachte dabei, wie gnädig das Schicksal sie behandelt hatte, indem es sie nie hatte wissen lassen, welches Ende ihr vorherbestimmt war. Nie im Leben hätte sie geglaubt, daß sie einst in den unratdurchschwemmten Fluten der winterlichen Themse würde sterben müssen. Ein letzter schwacher Wille bewog sie, sich, obwohl sie mit ihrem Dasein auf dieser Erde eigentlich schon abgeschlossen hatte, strampelnd über Wasser zu halten. Vergangene Bilder stiegen in ihr auf, in ungeordneter, zusammenhangloser Reihenfolge: Heron Hall, Blackhill, Joanna und Tante Harrict und Phillip, der einst in demselben Fluß gestorben war. Sie konnte ihren Körper vor Kälte nicht mehr fühlen, aber sie merkte plötzlich, daß sie ans Ufer gezogen wurde, daß sie steinigen Grund unter die Füße bekam und auf gefrorenes Gras sank, daß nicht länger schwarzes Wasser über ihre Lippen drang, daß sie keuchend Luft holen konnte und daß, was sie selber fast nicht zu glauben vermochte und was sie mit erschöpfter Verwunderung erfüllte, ihr Herz immer noch schlug. Niemals vorher hatte sie mit größerer Überraschung die Feststellung getroffen. daß sie tatsächlich lebte.

Waterloo
1815

1
    Lady Harriet Sheridy war davon überzeugt, daß sie zu jenen Menschen gehörte, die auf Erden besonders hart leiden müssen, um in ihrer Kraft geprüft und im Jenseits für alle ausgestandenen Qualen reich entschädigt zu werden, aber es gab Zeiten, in denen sie fand, daß sie, auch als Auserwählte, vom Schicksal zu grausam behandelt wurde. Sie war ganz sicher, daß sie die tausend Schmerzen und Kränkungen ihres Lebens mit einiger Würde durchgestanden hatte, so daß sie nun jedes Recht besaß, bei der schwersten Prüfung, die ihr auferlegt werden sollte, zusammenzubrechen. Joanna wollte sie verlassen, und seit dem Morgen, da ihr dies eröffnet worden war, lag Harriet in ihrem Zimmer auf

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