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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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aber John, der in den vergangenen zwei Jahren nur auf diese Weise existiert hatte, fand immer wieder ein neues Versteck. Ehe er das Land verließ, wollte er unter allen Umständen noch herausfinden, was mit seinen Freunden geschehen war. Zu diesem Zweck begab er sich sogar bis in die Stadt hinein, trotz Elizabeths heftiger Proteste. Sein Gesicht war mit Bartstoppeln bedeckt, und er trug einen Schlapphut tief in die Stirn gezogen, aber Elizabeth zitterte dennoch
jedesmal um ihn. Außerdem wurden ihr die einsamen Tage ohne ihn sehr lang. Sie saß in einer zugigen Scheune im Heu, die Beine eng an den Körper gezogen, eine mottenzerfressene Decke um die Schultern gelegt, lauschte dem Rascheln der Mäuse und zählte die Minuten.
    Eines Abends kam John zurück und erzählte ihr, was er erfahren hatte: daß Alex, Bruce, Dan und Samantha zum Tode verurteilt worden waren und am nächsten Tag vor dem Fleet Prison gehängt werden sollten.
    John wollte dabeisein, sosehr Elizabeth ihn auch anflehte, wenigstens dieses Wagnis nicht einzugehen.
    »Sie sind meine Freunde«, erklärte er, »ich muß bei ihnen sein. Danach, das schwöre ich dir, verschwinden wir sofort!«
    »Diesmal warte ich nicht auf dich«, entgegnete Elizabeth zornig, »ich halte es nicht länger aus. Ich komme mit nach London!«
    Glücklicherweise herrschte ein stürmischer, schneidender Wind am Hinrichtungstag, so daß alle Zuschauer völlig vermummt erschienen und John und Elizabeth mit Hut und Kopftuch und wollenen Tüchern vor den Gesichtern niemandem auffielen. Sie mischten sich in die allerdichteste Menge, weil John das am sichersten fand. Elizabeth zitterte trotzdem die ganze Zeit und wagte kaum die Augen zu heben. Doch niemand schenkte ihr auch nur einen Blick, denn jeder sah zum Galgen hin.
    Die vier Delinquenten wurden in winzigen Eselskarren vom Gefängnis zur Hinrichtungsstätte gebracht und dort nacheinander, einer vor den Augen des anderen, aufgehängt. Elizabeth konnte fast ihre Tränen nicht zurückhalten, als erst Alex, dann Bruce, dann Dan auf das Gerüst kletterte, die Schlinge um den Hals gelegt bekam und unter dem häßlichen Geräusch des wegklappenden Bodens in die Tiefe fiel, bis das Seil sich straffte und sie erwürgte. Keiner der drei Männer sagte ein Wort, nur die Menge johlte bei jedem Tod. Dann aber kam die Reihe an Samantha, und wohl niemand in ganz London hatte jemals einen Menschen so schreien hören wie sie. Samanthas Stimme schwoll zu einer Lautstärke an, daß alle Zuschauer in fassungslosem Entsetzen
ein paar Schritte zurückwichen. Vier kräftige Männer schafften es kaum, die ausgemergelte, in Lumpen gehüllte Gestalt aus dem Karren zu zerren, so wild und verzweifelt schlug sie mit Armen und Beinen um sich. Erst als man Eisenketten um ihre Hände und Füße gelegt hatte, wurde es möglich, sie bis zu dem Holzgerüst zu schleifen, an dessen unterster Stufe ein Priester stand. Samantha fiel vor ihm auf die Erde, ihre langen roten Haare breiteten sich über den Schmutz der Straße, sie umklammerte seine Füße mit ihren Fingern, und während sie ihren Kopf wieder und wieder auf die Pflastersteine schlug, stieß sie hohe, gellende Schreie aus, in denen sie abwechselnd Gott und die Menschheit um Gnade bat und all ihre Sünden in unverständlichen Jammerlauten bekannte. Ihre Schreie gingen schließlich in heiseres Röcheln über, aber sie hörte nicht auf zu bitten und zu betteln.
    Der Priester wirkte völlig hilflos, er schwenkte sein Kreuz und murmelte etwas, ohne überhaupt angehört zu werden. Ein Mann neben Elizabeth faltete die Hände.
    »Das ist keine Frau, das ist der Satan selber«, murmelte er in abergläubischer Furcht. Elizabeth mußte schlucken. Bis vor wenigen Minuten hatte sie geglaubt, sie könne, wenn nicht mit Befriedigung, so doch mit einiger Kälte der Hinrichtung Samanthas beiwohnen, da sie diese Frau beinahe für eine Verkörperung des Bösen hielt.
    Aber jetzt merkte sie, wie ihr ganzer Haß und jeder Rest von Rachsucht in sich zusammenfielen. Das winselnde, kreischende, elende Geschöpf zu Füßen des Priesters erweckte in ihr nur noch Mitleid und eine traurige Erinnerung an die einst lebenslustige, strahlende Samantha mit ihrem vielen billigen Schmuck und ihrer Liebe zur Halbwelt.
    Es wurden abermals vier Männer gebraucht, um Samantha die Treppe hinaufzuschleifen, und dreimal zerrte sie ihren Kopf wieder aus der Schlinge. Sie wehrte sich so, daß es bei ihr viel länger als bei den Männern dauerte, bis

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