Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
»Joanna, ich habe schon einen Mann verloren! Noch einmal ertrage ich es nicht! Ich kann es nicht aushalten!«
Joanna wußte, daß ihr keine Zeit zum Verhandeln blieb.
»So komm«, rief sie und rannte weiter. Belinda keuchte hinter ihr her.
Sie erreichten Edward auf der Straße, wo er eine Mietkutsche heranwinkte. Er beachtete die beiden heranstolpernden Frauen gar nicht, machte aber auch keine Anstalten, sie abzuwehren. Er wirkte vollkommen abwesend. Belinda betrachtete ihn mit Schrecken. Hatte Joanna recht, und hatte Edward den Verstand verloren?
Als sie alle im Wagen saßen, lehnte sich Edward zum Fenster hinaus.
»Quatre Bras«, rief er dem Kutscher zu. Dieser glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.
»Quatre Bras, Monsieur? Da wimmelt es von feindlichen Truppen, und die Straßen dorthin sind verstopft mit Engländern. Ich halte das für ziemlich...«
»Ich sagte Quatre Bras. Ich werde Sie gut bezahlen!«
Der Kutscher schüttelte den Kopf, ließ aber die Pferde antraben. Keiner sprach ein Wort. Sie saßen in den schwankenden Sitzen, es roch nach Parfüm und einem letzten Hauch von Champagner, und silberner und goldener Schmuck glitzerte in der Dunkelheit. Edward starrte in die Nacht hinaus, Belinda schluchzte leise vor sich hin, und Joanna sagte sich, daß das Leben eine scheußliche Wirrnis sei und daß die Menschen, die es liebten, unbegreifliche Narren sein mußten.
Während sie über die holprigen Feldwege ratterten, tanzte die Gesellschaft auf dem Ball der Herzogin von Richmond bis in die frühen Morgenstunden, bis Signalhörner und Trompeten von der Straße heraufklangen und zum Aufbruch mahnten. Die Offiziere mußten sich mitten im Tanz verabschieden und zu ihren Regimentern eilen, die meisten von ihnen noch in eleganten Schnallenschuhen und Seidenstrümpfen. Unter den Klängen lebhafter Musik zog das Heer nach Quatre Bras, den Franzosen entgegen.
Die Soldaten unter dem Oberbefehl von General Grouchy, der andere Flügel des Napoleonischen Heeres, waren unterdessen in Richtung Sombreffe gezogen, wo sie hinter dem Städtchen Fleurus Stellung bezogen. Das preußische Heer lagerte gegenüber in den Hügeln von Sombreffe, aber die Franzosen befanden sich auf ihrem Gelände dennoch auf einem geographisch höheren Punkt und konnten die Position des Feindes bequem überschauen. Zwischen den Heeren lag ein enges Tal, in dem sich Dörfer, Weiden und Felder dicht aneinanderdrängten. Die Häuser und Hecken schienen dem preußischen Feldmarschall Blücher günstig zu sein, um das Gebiet zu verteidigen. Zahlenmäßig war sein Heer dem französischen unterlegen, und daher wußte er von Anfang an, daß seine Strategie nur auf einem defensiven Kampf beruhen durfte. So erstreckten sich die preußischen Stellungen
quer durch das Tal und die Dörfer, den Ligny-Bach entlang, durch Wagnelee, Ligny und St. Amand. Ein drückend schwüler Junimorgen dämmerte herauf. Die Franzosen unter Ney und die englisch-holländischen Truppen unter Wellington standen vor Quatre Bras, während Napoleon und Grouchy mit ihren Franzosen den Preußen gegenüberstanden, von denen ein Korps, das des Generals Zieten, schon reichlich angeschlagen war, denn es hatte am Tag zuvor die Niederlage in Charleroi erlitten und sich in einem mühevollen Marsch kämpfend bis hinter Fleurus zurückgezogen. Sie standen einander gegenüber, und jeder wußte, wie lebenswichtig die Schlacht für beide Seiten werden konnte.
Napoleon mußte in Ligny siegen, denn nur so konnte er einen Keil zwischen die Verbündeten treiben, und von einem Sieg der Preußen hing Wellingtons Überleben ab, der bei Quatre Bras einen schweren Kampf ausfocht.
Elizabeth erwachte an diesem 16. Juni schon früh, nachdem sie erst gegen Morgen in unruhigen Schlaf gefallen war. Als am gestrigen Tag unüberschaubare Mengen von Soldaten, Trupp um Trupp, ins Land gezogen waren, hatte sie in einer ungläubigen Furcht am Fenster verharrt und die Männer beobachtet, die dort unten über die Feldwege ritten oder schwerfällig marschierten. Schloß Sevigny lag direkt zwischen Ligny und St. Amand. Sie konnte die Häuser beider Dörfer klar erkennen.
Am Nachmittag erreichten ein paar verwundete Soldaten des ersten preußischen Korps des Generals Zieten das Schloß und baten um Aufnahme. Von ihnen erfuhren die Schloßbewohner, daß Napoleon ungehindert die Grenze überschritten und Charleroi genommen hatte und nun im Sturmschritt auf Fleurus zueilte.
»Er ist uns einfach
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