Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege
Schlachtenlärm herüber, aber weit und breit ließ sich kein Soldat blicken.
»Beeilt euch«, drängte Marie. »Wenn sie uns sehen, schießen sie vielleicht!« Geduckt huschten sie durch den Garten, immer im Schutz der Bäume. Der verletzte Soldat bereitete ihnen beim Vorwärtskommen einige Schwierigkeiten. Sie konnten, während sie ihn über Steine und Wurzeln schleiften, keine Rücksicht mehr auf sein Bein nehmen, und er wurde vor Schmerzen immer blasser, bis er schließlich mit einem leisen Aufstöhnen das Bewußtsein verlor.
Hortense jammerte vor sich hin, weil ihr an einem Zweig ein Schuh hängengeblieben war und die Dornen auf dem Weg nun in ihren Fuß schnitten, aber niemand nahm Rücksicht auf ihr Quengeln. Elizabeth blickte sich einige Male um, weil sie sehen wollte, ob vielleicht John schon nachkam, aber sie sah nichts als das Schloß mit seinen zerbrochenen Fensterscheiben, hinter denen Schüsse und Schreie erklangen.
Es dauerte eine Weile, bis sie den Pavillon erreichten. Er lag weit entfernt und sehr versteckt, aber gerade das konnte später ihre Rettung sein. Sie wunderten sich, warum sich die Tür so leicht öffnen ließ, nachdem sie doch jahrelang verschlossen gewesen war, aber kaum daß sie eingetreten waren und sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannten sie, weshalb: In einer Ecke des Raumes kauerten einige Menschen und starrten sie aus angstgeweiteten Augen an. Die Ankommenden zuckten zurück. Für kurze Zeit begriff niemand, wem er gegenüberstand, aber dann löste sich die Spannung, als sie merkten, daß sie alle Flüchtlinge und keine Feinde waren. Es stellte sich heraus, daß die Fremden zu einer Bauernfamilie gehörten, deren Hof als einer der ersten an die Franzosen gefallen war und im Nu in hellen Flammen gestanden hatte. Die Familie ergriff die Flucht, stieß
dabei auf den Pavillon und verkroch sich darin. Die alte Großmutter und zwei Kinder waren im Feuer umgekommen. Die junge Bäuerin hockte wie erstarrt auf dem Boden und brachte kein Wort hervor. Ihr Mann richtete sich mühsam auf und half Elizabeth und Hortense, den Soldaten auf ein Sofa zu legen. Es herrschte nur dämmriges Licht im Raum, weil auf den Fensterscheiben eine jahrealte Staubschicht lag und der Efeu so dicht wucherte, daß grünliche Schatten über Wänden und Möbeln lagen.
»Jetzt können wir nur noch warten«, sagte Tante Marie. Gespenstisch klangen Artilleriefeuer und Granateneinschläge zu ihnen herüber. Elizabeth kratzte eines der Fenster ein wenig vom Schmutz frei, um hinaussehen und vielleicht John entdecken zu können.
Aber die vielen Bäume versperrten ihr den Blick. Sie merkte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Ihre Nerven schienen ihr zum Zerreißen gespannt. Das Schluchzen und Wimmern der fünf kleinen Bauernkinder machte sie so rasend, daß sie am liebsten laut aufgeschrien hätte, und sie beherrschte sich nur, indem sie sich die Fingernägel in den Arm bohrte. Wenn John nicht sofort kam, würde sie den Verstand verlieren und hinauslaufen, mitten in das höllische Inferno hinein. Sie atmete tief und fragte mit gepreßter Stimme:
»Warum haben wir das eigentlich nicht vorausgesehen und uns rechtzeitig davongemacht?«
»Das dort draußen«, entgegnete Tante Marie, »hätte niemand voraussehen können.« Sie sah sehr blaß aus, die Wunde an ihrem Arm blutete unaufhörlich.
Elizabeth nahm sich zusammen. Sie riß aus ihrem Unterrock ein großes Stück sauberen Stoff und verband damit Tante Maries Verletzung. Paulette half ihr, während Jerome der völlig unsinnigen Beschäftigung nachging, Sessel und Stühle vom Staub zu reinigen, damit die Herrschaften saubere Plätze hätten. Noch während sie sich bemühten, etwas zu tun, was sie ein bißchen ablenkte, wurde plötzlich die Tür aufgestoßen, und John stand auf der Schwelle.
Seine Kleidung war zerrissen und voller Blut, er hielt ein Gewehr in der einen und einen Degen in der anderen Hand und stieß mit dem Fuß die Tür hinter sich zu.
»Hier bin ich«, sagte er heiser, »es war höchste Zeit, aber ich habe es gerade noch geschafft.«
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und streckte die Hand aus. Elizabeth eilte auf ihn zu, fiel neben ihm auf die Knie und preßte ihr Gesicht gegen ihn. John legte beide Arme um sie, und so saßen sie einige Minuten da, ohne daß einer ein Wort sprach, bis Tante Marie, die in solchen Situationen wenig Zartgefühl besaß, die Stille unterbrach.
»Und? Wie steht es drüben?«
Elizabeth hob den Kopf und
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