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Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege

Titel: Verbotene Wege - Link, C: Verbotene Wege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hinaus in den Park, wo sie sich an die Wand lehnte und zusammengekrümmt wartete, daß der Schmerz verging. Erst dann konnte sie sich aufrichten und starrte in den verwüsteten Garten. Nichts stand dort mehr, nicht die Obstbäume, die Eichen, die Rosen, kein Gras wuchs mehr, die sauberen Kieswege waren verschwunden. Nur noch verbranntes Holz, tote Pferde, tote Männer und dazwischen die Löcher, die Granaten in den Boden gerissen hatten. Tante Marie hatte nichts erreicht. Schloß Sevigny und sie selbst waren nicht verschont geblieben.
    »Aber es bleibt ja gar nichts verschont!« schrie Elizabeth plötzlich. Ihre Augen brannten schon wieder, und sie wartete darauf, daß sie weinen würde, aber es wollten keine Tränen kommen. Die Verzweiflung, die sie empfand, war leer und kalt und ohne Erleichterung. Sie richtete ihren Blick in eine Ferne, die sie gar nicht sah. Dies war nun die Wahrheit. Nie wieder würde sie etwas Schönes empfinden können, sich nie wieder nach etwas sehnen oder von etwas träumen. Alle Bitternis, durch die sie hatte gehen müssen, seitdem ihre Kindheit in Louisiana in einem brütendheißen Sommer ein jähes Ende gefunden hatte, war nicht grausam genug gewesen, ihr den Glauben zu nehmen, daß die Welt und das Leben im Innersten gütig sein mußten. Dabei hätte sie es tausendmal schon begreifen müssen. Heute endlich wußte sie, welch einzigem Gesetz die Erde folgte. Sie ahnte nicht, daß in ihr in diesen Stunden das geschah, was Edward Gallimore viele
Jahre früher durchlebt hatte, und sie wußte nicht, daß sie damit fertig werden würde.
    Sie riß sich aus ihrem dumpfen Grübeln. Heute nacht würde es ihr nicht mehr gelingen, ihre aufgewühlten Gefühle zu beruhigen. Sie meinte, ein Stück weiter draußen im Garten eine Bewegung gesehen und eine menschliche Stimme vernommen zu haben. Sie überwand ihr Grauen und stieg vorsichtig über die Toten hinweg, die ihr im Weg lagen.
    Der Mond ließ sich gerade nicht blicken, so daß sie, wie sie dankbar feststellte, die Körper nicht erkennen konnte. Aber plötzlich hob sich ein weißer Arm vom Boden, ein Gesicht mit großen, hellen Augen sah sie an.
    »Madame, um Gottes willen, helfen Sie mir«, bat eine brüchige Stimme. Elizabeth blieb stehen und neigte sich hinab, um gleich darauf mit einem Entsetzenslaut zurückzuschrecken. Dem preußischen Soldaten, der dort vor ihr auf der Erde lag, waren beide Beine weggeschossen worden, er kroch in seinem eigenen Blut, ohne sich richtig vom Fleck bewegen zu können.
    »O nein«, murmelte Elizabeth. Der Mann schien kaum fähig zu sprechen, so sehr mußten ihn die Schmerzen quälen, aber er formte mühsam einige Worte.
    »Madame... bitte, dort... liegt meine Waffe!« Sein ausgestreckter Arm wies mit letzter Kraft auf einen toten Franzosen nur wenige Schritte entfernt, neben dem eine Pistole lag.
    »Seit... Stunden... ich komme nicht heran... Madame, schießen Sie bitte... bitte...«
    Elizabeth schüttelte entsetzt den Kopf.
    »Nein. Nein, das kann ich nicht. Nein, nicht!« Sie wollte sich umdrehen und weglaufen, aber seine Stimme hielt sie zurück.
    »Lassen Sie mich nicht allein... bitte, Madame, helfen Sie mir!«
    »Aber ich kann das nicht tun. Bitte verstehen Sie, ich kann so etwas einfach nicht.«
    »Madame!«
    Elizabeth blieb noch einmal stehen.
    »Madame, so... geben Sie mir die Pistole!« Von der Stimme
hypnotisiert ging sie auf die Pistole zu, hob sie auf und reichte sie dem Verwundeten. Seine Augen glühten vor Dankbarkeit.
    »Danke, Madame...«
    »Oh, bitte, ich wünschte nur, ich könnte mehr für Sie...« Ihre Stimme brach, sie wandte sich ab und lief so schnell sie konnte davon. Der Wind zerrte an ihren Haaren und toste in ihren Ohren, aber nicht laut genug, um den Schuß zu übertönen, der durch die Nacht hallte. Die Hände gegen die Ohren gepreßt, hastete sie weiter. Sie verstand nicht mehr, wie sie zwölf Stunden lang um ihr Leben hatte kämpfen können, wenn es ihr doch jetzt vorkam, als sei Sterben das einzige, was sie sich wünschen konnte.
    Sie blieb vor der Kellertür stehen, heftig atmend, und strich sich die fliegenden Haare aus dem Gesicht. Sie klammerte ihre Finger um die noch regenfeuchten Steine der Hauswand, lehnte den Kopf dagegen und atmete den frischen, nassen Geruch. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, fuhr sie zusammen, aber es war John.
    »Hier bist du«, sagte er, »ich suche dich schon überall. Man hat dich ziemlich durcheinander in der Küche gesehen, und dann warst

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