Verbrannte Träume.
noch ein paar Aufträge ausstünden, die ich erledigen möchte. Diese Kugelschreiber für die Partei zum Beispiel, daß ich aber beim besten Willen nicht wüßte, was ich damit tun sollte. Doktor Farngräber lächelte über meinen Eifer und meinte, Ulli hätte sicher Bücher geführt, in denen die Bestellungen detailliert festgehalten wären. Wenn ich zur Ruhe gekommen wäre, würde ich mich bestimmt mit Ullis Geschäftsunterlagen zurechtfinden. Und davon abgesehen, wer auf eine bestimmte Lieferung warte, die nicht eintreffe, der würde sich schon melden. Da fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, den Anrufbeantworter wieder einzuschalten, als ich morgens die Wohnung verließ. Ich möchte nicht wissen, wie oft an dem Montag das Telefon geklingelt hat. Wie oft jemand das Freizeichen anfluchte, den Hörer zurück auf die Gabel knallte. Jemand, der übers Wochenende erfahren hatte, daß Ulli
»in einem Krankenhaus«
lag. Jemand, der überzeugt war, daß nicht stimmen konnte, was ich erzählt hatte. Aber dann müßten ihm Zweifel gekommen sein. Vielleicht war er nicht lange genug bei dem brennenden Wagen geblieben.
Kapitel 5
Die Untersuchungen hätten wir uns schenken können. Es kam nichts Gescheites dabei raus. Die Ergebnisse kamen zwei Tage später, mittwochs. Und da wußte ich schon genug, um die Polizei, die Sachverständigen und die Gerichtsmediziner für ausgemachte Trottel zu halten. Keine Manipulation am Renault. Und der Obduktionsbefund; kein heiler Knochen mehr im Leib, mehrere Schädelbrüche. Es war nicht festzustellen, ob einer oder mehrere davon durch einen Schlag verursacht worden waren. Sie hatten in der Gerichtsmedizin Schwierigkeiten, den Schädel zu untersuchen. Er hatte durch das Feuer am meisten gelitten, war auseinandergebrochen. Ich nehme an, daß es ein Schlag war oder mehrere Schläge. Aber die Brüche gingen alle als Unfallfolge durch. Rauch in den Lungen. Er hatte noch gelebt, als das Feuer ausbrach. Ich darf nicht darüber nachdenken. Wenn ich es tue, fällt mir immer etwas aus dem Geschichtsunterricht in der Schule ein, über die Hexenverbrennungen im Mittelalter. Damals sagte der Lehrer, daß die Familien, die es sich leisten konnten, dem Henker Geld gaben. Damit er die arme Seele auf dem Scheiterhaufen erwürgte. Sie konnte sich auch selbst durch ein Geständnis den Gnadentod erkaufen. Gnadentod! Ich träume davon. Von einem eingeschlagenen Schädel, von einem Hammer oder dem Griff einer Pistole. Und immer wieder davon, daß er noch einmal zu sich kommt. Daß dieser wahnsinnige Schmerz ihn aus der Bewußtlosigkeit reißt. Daß er um sich schlägt und tritt, darum kämpft, sich aus dem Blechknäuel zu befreien. Daß er sich dabei die Finger und die Arme, die Schultern und die Beine, alle möglichen Knochen bricht. Wie soll es denn sonst passiert sein? Wenn ein Auto sich überschlägt, bricht man sich das Genick, die Rippen, auch Arme und Beine. Aber nicht alles, nicht jeden Knochen im Leib. Ich wünschte mir, ich hätte niemals auf diesen Untersuchungen bestanden. Wenn ich an dem Montag morgen statt in die Kanzlei zu meinen Eltern gefahren wäre, ich hätte mir eine Menge Ärger erspart. Oder auch nicht, ich wäre ja zurück in die Wohnung gegangen, nach ein paar Tagen, nach der Beerdigung. Erspart hätte ich mir nur ein paar Tage Angst, nicht die beiden Kugeln, da bin ich sicher. Ich würde jetzt nicht in einem Krankenhausbett liegen. Sitzen! Und aufschreiben, schön der Reihe nach. Nachdem er im Laufe des Vormittags alles von Bedeutung erledigt hatte, rief Doktor Farngräber am frühen Nachmittag seine Frau an. Sie kam in die Kanzlei und fuhr mit mir nach Kürten zur Polizeiwache, wo ich die Sachen in Empfang nahm. Ullis Uhr und das Kettchen, den Trauring und etwas Münzgeld. Es war alles schwarz. Ich bestätigte, daß diese Gegenstände meinem Mann gehört hatten. Daß ein wichtiger Gegenstand fehlte, fiel mir erst später auf. Dabei hätte mich das Münzgeld darauf bringen müssen. Es bewies, daß die Polizei alles Wichtige sichergestellt hatte, sogar aus den Hosentaschen. Aber ein Schlüsselbund hatten sie nicht gefunden. Vermißt hatten sie es auch nicht. Vielleicht gingen sie davon aus, Ulli hätte keine Schlüssel bei sich gehabt, weil ich zu Hause war. Der Autoschlüssel war da. Den hatte Ulli an einem Anhänger aus Plastik befestigt. Eine SOS-Kapsel mit einem Zettel drin, auf dem seine Blutgruppe und unsere Adresse standen. Die Kapsel war geschmolzen, und der Zündschlüssel
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