Verbrechen ist Vertrauenssache
Jahrhundert eingewandert waren.
»Morgen, Dwayne«, sagte Archibald. »Bestell dir einen Kaffee.«
»Hab schon gefrühstückt.«
Am Tisch stand noch ein dritter Stuhl, gegenüber dem Fenster und mit Blick auf die Aussicht. Wie die anderen hatte er keine Armlehnen, aber eine gepolsterte Sitzfläche und eine kunstvoll verschnörkelte Rückenlehne. Als Dwayne seine große Hand danach ausstreckte, schien der Stuhl zusammenzuzucken, als wäre er davon überzeugt, dass er gleich in Kleinholz verwandelt werden würde, doch Dwayne zog ihn lediglich unter dem Tisch hervor, setzte sich und ignorierte wie die beiden anderen die Aussicht, aber auch Tina, wie er es meistens tat – wenn er sie zur Kenntnis nehmen musste, dann mit einem verächtlichen Grinsen. »Alles in Ordnung«, sagte er.
»Ja, natürlich«, sagte Archibald und lächelte seinen Assistenten an. »Wenn du das Kommando hast, Dwayne, ist immer alles in Ordnung.«
Dwayne quittierte das mit einem Schulterzucken. »In den Morgennachrichten haben sie gesagt, dass gestern nacht sechshundert Leute vor dem Stadion kampiert haben.«
Das war keine Überraschung. Weil es bei Archibalds Kreuzzügen weder Vorverkauf noch Platzreservierungen oder Bezahlung per Kreditkarte gab, sondern der Eintritt in bar amEingang entrichtet werden musste, und weil der Zulauf noch größer geworden war, seit er eine eigene Fernsehsendung hatte, war es in den vergangenen Jahren eigentlich ganz normal geworden, dass viele Menschen, ausgerüstet mit Schlafsäcken oder Liegestühlen, vor den Toren des Stadions, in dem er auftreten würde, übernachteten, um auch ganz bestimmt eine Eintrittskarte zu bekommen. Dennoch – sechshundert war eine ziemlich beeindruckende Zahl, und Archibald konnte sich ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen, als er sagte: »Radio- oder Fernsehnachrichten?«
»Beides. In Today sind wir in den Regionalnachrichten, und sämtliche Radiosender in der Gegend bringen es ebenfalls.«
Gut. Archibald würde keine Schwierigkeiten haben, die zwanzigtausend Plätze in diesem Stadion an den Mann zu bringen, aber dennoch war es schön, wenn andere Leute, die mit dem Wirken von Reverend William Archibald noch nicht hinreichend vertraut waren, auf diese Weise erfuhren, dass er imstande war, sechshundert Menschen dazu zu bringen, im Freien zu übernachten. Mehr als bei der Baseball-Meisterschaft.
»Der Sicherheitsdienst vor Ort ist beschissen«, fuhr Dwayne fort, »aber das spielt ja vermutlich keine Rolle.«
»Dwayne«, sagte Archibald gutgelaunt und tupfte mit dem letzten Stück von Tinas zweitem Toast den Rest des Eigelbs auf, »das sagst du jedesmal.«
»Es stimmt ja auch jedesmal«, antwortete Dwayne. »Diese Burschen sind einfach kein Bargeld mehr gewöhnt.«
»Dwayne, Dwayne«, sagte Archibald, »wer würde denn einen Mann Gottes beklauen?«
»Das haben wir schon erlebt.«
»Kinkerlitzchen. Angestellte, die mal lange Finger machen,irregeleitete Kleinkriminelle. Du findest sie, Dwayne, du findest sie immer, und dann nehme ich sie mir vor.«
»Und ich gebe ihnen dann einen ordentlichen Tritt in den Arsch«, sagte Dwayne.
»Aber das ist ja schon lange nicht mehr vorgekommen«, sagte Archibald. »Du suchst dir deine Leute sehr sorgfältig aus.«
»Wobei mir einfällt«, sagte Dwayne, »dieser Carmody …«
Archibald seufzte. »Ja, ein schwieriges Problem«, gab er zu.
»Ich finde, wir sollten ihn loswerden.«
»Weil er zu eifrig ist? So was haben wir noch nie tun müssen, Dwayne, und ich fürchte, es könnte auf uns zurückfallen.«
»Aber er macht Ärger«, erwiderte Dwayne. »Er ist wie eine Krankheit, die sich ausbreiten kann. Ich will, dass meine Leute motiviert sind.«
»Ja, natürlich. Aber die Presse, Dwayne. Die Presse ist eine ständige Gefahr. Wenn Tom Carmody mit seiner Unzufriedenheit an den falschen Reporter gerät, wenn er in den Medien ein offenes Ohr findet und denen erzählt, dass wir ihn rausgeschmissen haben, weil er Jesus in sein Herz gelassen hat, dann könnte das sehr schlecht für uns sein. Sehr schlecht.«
»Nach drei Tagen kräht kein Hahn mehr danach.«
»Vielleicht. Vielleicht werden gewisse Diener des Herrn dann aber auch zum Abschuss freigegeben. Ich finde, wir sollten uns den Rücken freihalten, wie es bei unseren Kollegen in der Wirtschaft heißt.«
»Mir gefällt nicht, was er zu den Männern sagt«, beharrte Dwayne.
Archibald hatte Verständnis für Dwaynes Problem. DieMarine-Corps-Methode im Umgang mit faulen Äpfeln
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