Verdacht auf Mord
Die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen.
Das Wohnzimmer war verblüffend leer. Es gab nur einen Fernseher und einen Liegestuhl auf einem kleinen Teppich, vermutlich damit er auf dem Parkett keine Kratzer hinterließ.
»In dem schlafe ich genauso gut ein wie im Bett«, erzählte Larsson lachend und deutete mit dem Kopf auf den Liegestuhl. Gillis Jensen entschied ein weiteres Mal seit Betreten der Wohnung, sich über die Gründe für die sparsame Möblierung keine Gedanken zu machen. Vielleicht hatte ihn ja seine Frau gerade rausgeworfen.
»Sie saßen also dort?«
Jensen deutete auf den Liegestuhl. Larsson nickte.
»Ich habe alle Möbel verkauft«, erklärte er. »Ich ziehe mit einer Frau zusammen, und wir brauchen nicht alles doppelt. Ich habe den Kram übers Internet angeboten, und fast sofort rief ein Mann an. Damit war die Sache schon erledigt.«
So einfach kann es sein, dachte Jensen, dessen Garage komplett vollgestellt war.
»Es war also dieses Fenster?«
Jensen deutete auf das einzige Fenster und kam sich dabei ziemlich einfältig vor.
»Genau. Ich streckte den Kopf raus, ungefähr so«, sagte Larsson und beugte sich über die Fensterbank. »Ich sah den Typen da unten, und er war sofort still, ohne dass ich etwas sagen musste. Sonst hätte ich ihn gebeten, die Klappe zu halten.«
Er trat vom Fenster zurück, und Jensen schaute nach draußen. Unten war ein schmales, von hohen und dichten Fliederbüschen umgebenes Rasenstück zu sehen.
»Er war aber irgendwie zu verstehen. So wie bei Romeo und Julia. Klar, dass er zu dem Mädel hochwollte«, meinte Larsson.
»Sie haben sich nicht erboten, runterzugehen und ihm aufzuschließen?«
Kenneth Larsson kratzte sich am Kopf. Sein Haar war kurz geschnitten, dunkel, etwas angegraut, aber ohne dünne oder kahle Stellen, was ihn jünger erscheinen ließ, als er vermutlich war.
»Ich wollte mich da nicht einmischen. Vielleicht wollte sie ja nicht, dass er hochkommt.«
Auch wahr, dachte Jensen und nickte.
»Wenn Sie jetzt noch einmal aus dem Fenster schauen wollen …«
Larsson tat, worum er gebeten worden war.
»… erinnern Sie sich dann daran, ob noch in einem anderen Fenster Licht brannte?«
»Nein.«
»Sie waren als Einziger noch wach?«
»Und die junge Frau über mir.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Sie öffnete ihr Fenster. Anschließend. Nach mir. Und dann ging sie runter und schloss die Haustür auf. Aber das war erst nach einer Weile.«
»Der Mann stand also draußen in der Dunkelheit?«
»Ja. Darf ich meinen Kopf jetzt wieder reinziehen?«
»Nein. Sehen Sie nach unten und versuchen Sie, sich daran zu erinnern, welche Haarfarbe der Mann hatte.«
»Das kann ich nicht.«
»Nein?«
»Nein. Er trug eine Trainingsjacke mit Kapuze.«
»Ach so.«
»Und die Kapuze hatte er auf.«
»Wie groß war er schätzungsweise?«
Ein Kopfschütteln vor dem Fenster.
»Schwer zu sagen. Aber es war kein Zwerg.«
»Also nicht klein?«
»Nein, glaube ich nicht. Eher durchschnittlich.«
»Was haben Sie zu ihm gesagt?«
Er zog den Kopf zurück.
»Kein Wort. Da bin ich mir ganz sicher! Ich habe ihn nur missbilligend angeschaut.«
»Was hatte er für eine Stimme?«
»Die war nicht weiter bemerkenswert, er klang jung, wie gesagt.«
»Dialekt?«
»Er war jedenfalls nicht aus Schonen.«
»Ach, nicht, wo kam er dann her, glauben Sie?«
»Keine Ahnung, aber jedenfalls nicht aus Stockholm und nicht aus Norrland, denn diese Dialekte kenne ich von meinen Arbeitskollegen.«
Gillis Jensen notierte die Telefonnummern des Mannes und bedankte sich. Er erfuhr, dass Larsson in einer Druckerei in Malmö im Schichtdienst arbeitete.
»Fällt Ihnen vielleicht noch etwas ein?«, fragte er, als sie in der leeren Diele standen.
Kenneth Larsson kratzte sich am Kopf.
»Tja, gerade als ich einschlafen wollte, es war vermutlich zwei oder drei Uhr nachts, da hörte ich es oben rumpeln und vernahm Laute wie von einer jammernden Katze.«
Wieso ausgerechnet von einer Katze, überlegte sich Gillis Jensen.
»Aber ich dachte, jetzt kriegt sie vermutlich, was sie will.«
Er verzog den Mund.
»Sie glaubten also, dass sie miteinander schliefen?«
»Ja. Gewisse Frauen schreien immer.«
Anschließend begab sich Gillis Jensen in die Express Bar am Westbahnhof und aß einen Pastasalat im Stehen. Dieses Lokal suchte er recht oft auf. Es ging schnell, das Essen war gut, und von hier waren es dann nur noch zweihundert Meter bis zum Präsidium. Kaum war er über die Schwelle
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