Verdacht auf Mord
Teelichter nicht an. Das Tiefdruckgebiet aus dem Westen hatte sich abgeschwächt, die leichte Bewölkung hatte sich aufgelöst, und die Herbstsonne entfaltete allmählich ihre ganze Kraft.
Der Schreibtisch schien ihm weniger beladen, was er auch kommentierte.
»In so intensiven Zeiten gilt es einfach, sich Schicht um Schicht durch den Stapel zu arbeiten. Momentan muss der Umweltplan umgesetzt werden. Ein Elend, wenn ich mal so sagen darf.«
Er sah sie mit verständnislosem Blick an, da begann sie zu lachen.
»Aber das soll uns jetzt nicht bekümmern. Was haben Sie denn diesmal auf dem Herzen?«
Er zog nochmals den Zettel mit der Zahlenkombination hervor. Dieses Mal handelte es sich um Giilis Jensens Kopie, einen offenbar von einem Formular abgerissenen linierten Schnipsel mit fettem Rahmen.
»Ich habe Ihnen diese Zahlen bereits gezeigt.«
Sie nickte.
»Ich habe keine Ahnung, was sie bedeuten können.«
»Könnte es sich um ein Zeugnis handeln?«
»Warum nicht? Dann aber um ein altes. Wir haben ja keine Zahlenbewertungen mehr. Und es ist kein vollständiges Zeugnis.«
»Wann wurde zum letzten Mal mit Zahlen bewertet?«
»Neunundsechzig.«
Über das Papier an sich wusste Kerstin Malm nichts weiter zu sagen, als dass es sich nicht um ein Formular handelte, das in ihrer Schule verwendet wurde.
Veronika stieg aus dem Zug. Sie sah mitgenommen aus. Er küsste sie auf die Wange, und Klara gab ihr einen nassen Kuss auf den Mund. Sie fuhren fast gänzlich schweigend nach Hause und luden ihre Tasche und alle Einkaufstüten aus. Dann nahm Veronika Klara bei der Hand und machte einen Rundgang im Garten. Sie tauchte ihre Nase in eine spät blühende Rose, entfernte einige welke Samenkapseln und begutachtete die Astern, die an der Hausecke leuchteten. Die Tochter blieb immer ganz dicht bei ihr. Veronika ließ ihre Finger durch ihr dünnes Haar gleiten, das am Hinterkopf wie ein Krähennest verwuschelt war.
Claesson öffnete ein Bier, setzte das Essen auf und kam sich sehr häuslich vor.
»Schön, wieder zu Hause zu sein«, sagte sie und ließ ihre Fingerspitzen über seinen Nacken gleiten.
Er erschauerte vor Wohlbehagen und drehte sich um, um ihr nun einen Kuss auf den Mund zu geben. Er hoffte, dass Klara zur gewohnten Zeit einschlafen würde, damit ihnen noch ein Stündchen füreinander blieb. Er wusste genau, was er wollte, jetzt würde Schluss sein mit dem Zölibat.
Veronika deckte den Tisch, während ihr Klara an den Beinen hing.
»Fahren wir morgen hinaus?«, fragte sie.
»Wohin?«
»Irgendwohin, wenn’s nur ins Grüne ist. Vielleicht Pilze sammeln?«
Er schwieg.
Alle unerledigten Aufgaben, die seiner harrten, fielen ihm plötzlich ein. Schuhe und Jacke für Klara. Vorräte erneuern. Außerdem noch vieles andere. Der vernachlässigte Haushalt. Er hatte noch keine Zeit beziehungsweise Lust gehabt, den Straßenschmutz zu beseitigen, den ihre Tochter ins Haus brachte. Aber immerhin hatte er die Wäsche erledigt, eine Maschine nach der anderen. Obwohl er die saubere Wäsche noch sortieren musste. Und dann hatte er im Stillen auch schon eine Trainingsrunde eingeplant. Einen Zehnkilometerlauf. Mindestens.
Sein Zögern entging ihr nicht.
»Oder hast du keine Lust?«, fragte sie.
Er schwieg.
»Ich kann auch nur mit Klara fahren.«
»Natürlich will ich auch. Aber ich habe noch einiges zu erledigen!«
Seine Stimme klang angestrengt und war von unerwarteter Schärfe.
Ein Vorwurf schwang darin mit.
Weswegen?
Ohne etwas zu erwidern, hob sie Klara auf den Arm. Verbarg ihr Gesicht hinter dem Kopf der Tochter. Brauchte Bedenkzeit.
Habe keine Kraft, dachte sie. Keine Kraft zum Streiten.
Er wollte nun wirklich kein Spielverderber sein, aber es gab unendlich viel zu Hause zu erledigen. Ein Berg überlebensnotwendiger Aufgaben türmte sich vor ihm auf. Und insgeheim hatte er gehofft, dass sie einige davon übernehmen würde. Wo sie sich so lange um nichts hatte kümmern müssen. Den alltäglichen Mühen ferngeblieben war.
Sie müsste doch wenigstens verstehen, wie er es gehabt hatte.
In Erwartung dieses Verständnisses harrte er aus. Schwieg weiterhin. Drehte sich zum Herd um und rührte mit heftigen Bewegungen in den Töpfen. Wütend schlug er mit dem Kochlöffel gegen die Kochtopfkante.
Es wirkte fast, als würde er den Verdruss genießen.
»Tja«, sagte Veronika.
Kein Wort mehr.
Aber man muss doch auch ein bissche n Mensch sein dürfen, dachte sie resigniert. Einfach mal etwas für sich tun. Nicht
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