Verdacht auf Mord
seinen Gedanken und energisch in seinen Handlungen. Die inneren Luftlöcher ging er mit strenger Logik und scharfem Intellekt an. Die ganze Zeit. Sogar die Nächte verwendete er darauf. Benommen erwachte er von seinen schweren Träumen. Eigentlich war er ein Mensch, der nie träumte. Aber jetzt war es wie verhext. Er fand sich nicht zurecht. Er versuchte die eigene Verletzlichkeit mithilfe von Statistik und anderen sicheren Berechnungsmethoden in Schach zu halten.
Niemand hatte die Angst erwähnt und auch nicht die Einsamkeit.
Er war schließlich und endlich vollkommen auf sich allein gestellt. Allein – auch mit seiner Angst. Er stand Todesängste aus.
Schweigend saß er auf einem Drehstuhl in der HNO-Klinik in Lund in einem Zwischending aus Untersuchungszimmer und Büro, das weit hinten an einem sehr abseitigen Korridor lag. Wie eine friedliche Endstation des Lebens, dachte er ironisch und versuchte damit dem Grauen entgegenzuwirken. »Gleichgewichtstest« stand an der Tür. Aber nichts war im Lot.
Es hatte ihn jedoch erleichtert, von niemandem erkannt worden zu sein. Der Korridor war menschenleer gewesen, als er sich nach einem spartanischen Frühstück im Patientenhotel des Krankenhauses hierherbegeben hatte. Einen Schluck Kaffee, mehr hatte er nicht herunterbekommen. In Lund kannte ihn glücklicherweise niemand.
Ihm stand ein Tag voller Untersuchungen bevor. Nystagmografie am Morgen, anschließend ein Audiogramm bei den Audiologen, dann eine Ohrenuntersuchung beim Chefarzt und Ordinarius Professor Mats Mogren, in dessen Händen er sich im Augenblick befand. Dann war Mittagessen, und anschließend musste er wieder zum Chefarzt Mogren für einen sogenannten otoneurologischen Status und eine ergänzende Anamnese, also weitere Fragen. Dann kam eine Kaffeepause und zum Abschluss eine weitere Begegnung mit einem Arzt. All das würde, soweit er verstand, zu einer Beurteilung und eventuell zu einer Operation führen. Vielleicht würde er sogar schon einen Termin bekommen, ehe er nach Hause fuhr. Das wäre natürlich gut. Etwas, wonach er sein Dasein ausrichten konnte.
Die Zeit davor und die Zeit danach.
Gegen Abend würde er hoffentlich etwas entspannter denselben Weg zurück nehmen, den er am Vortag gekommen war. Er freute sich bereits darauf. Zug nach Alvesta, dort nach Växjö umsteigen, von dort mit einem Bus, der Rasken hieß, nach Hause.
Auf dem Weg nach Lund hatte ihn der Name dieser Busverbindung aufgemuntert. Er erinnerte an die zähen Småländer, die unverdrossen ihre steinigen und kärglichen Äcker bestellt hatten. Sie hatten die Wälder urbar gemacht. Ein robustes Völkchen. Und von diesem stammte er ab. Hatten sie überleben können, die, die sich nicht dünngemacht hatten und nach Amerika ausgewandert waren, dann würde auch er jetzt überleben. Außerdem waren die Voraussetzungen heutzutage viel besser. Und er gehörte wirklich nicht zu den Leuten, die bei der ersten Schwierigkeit gleich aufgaben.
Aber den Mut – woher sollte er den nehmen? Gott hatte er schon lange aus seinem Leben verbannt. Einen guten Gott gab es nicht. So wie die Welt jetzt aussah. Ein Richter, der am Jüngsten Tag über die Lebenden, die Toten und all jene elenden Sünder, die die andere Backe nicht hingehalten hatten, sein Urteil sprach, konnte kaum Trost spenden. Aber Liebe und Gnade? Sprach Gott nicht auch über die wahre Liebe? Konnte diese nicht auch ihn selbst umfassen? Einen Mann, der sich im letzten Moment eines Besseren besonnen hatte? Der den Tempel des Herrn nur selten besucht hatte. Bei den Gottesdiensten hatte er sich durch seine Abwesenheit ausgezeichnet, außer bei den Konfirmationen der Kinder, und da war es ihm nur mit Mühe gelungen, sich wach zu halten.
Würde er noch die Zeit haben zu beweisen, dass auch er es wert war, geliebt zu werden?
Aber Gott verlangte doch keine Beweise, nicht wahr? Keinerlei Aufnahmeprüfungen oder andere Einsätze. Gott konnte ihn, einen armen Sünder, so wie er war, ins Herz schließen.
Jan Bodén hatte noch nie zuvor so an seinem Leben gehangen. Die Lebenslust sang in ihm, durchströmte ihn täglich. Eine Leidenschaft, eine Glut, die ihn auf den Beinen hielt. Manchmal schauderte es ihn.
Aber davon erzählte er niemandem. Am allerwenigsten Nina.
Vielleicht war es ihr trotzdem aufgefallen, dass er sich verändert hatte. Obwohl sie an anderes zu denken schien. An praktische Dinge oder was auch immer. Er wusste es nicht so genau. Sie führte ihr Leben und er seines – das
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