Verdacht auf Mord
ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Der »Elch« wusste natürlich nicht, dass er in Lund war. Wie hätte er das auch wissen sollen?
Aber der »Elch« nickte nur kurz und schlug dann, als sei ihm unbehaglich zumute, eine andere Richtung ein.
Bodén fand das seltsam. Drei Medizinstudenten in zu großen Ärztekitteln kreisten mit ihren Tabletts auf der Suche nach einem freien Tisch um ihn herum. Bodén entschloss sich, ihnen Platz zu machen, erhob sich und ging, um sich den Heimsuchungen des Nachmittags zu stellen.
Aber erst zog er noch das Handy aus der Tasche, rief Nina an und teilte mit, alles sei okay. Sie würden sich abends eingehender darüber unterhalten.
Dann wählte er eine weitere Nummer.
Das Taxi fuhr am Pförtner vorbei. Der Block ragte vor dem Kühler des Autos wie eine riesige graue Mauer auf. Ein unpersönlicher Koloss, der zusammen mit den beiden Türmen des Doms die charakteristische, kilometerweit sichtbare Silhouette Lunds bildete. Die älteren Krankenhausgebäude kauerten sich verschreckt im Schatten dieses Riesen zusammen. Das Gelände war nicht sonderlich groß.
Veronika Lundborg zahlte und stieg aus dem Taxi. Als sie durch die Drehtüren des Haupteingangs ging, fühlte sie sich winzig wie eine Ameise.
Ihre Unruhe hatte sich während der ganzen Fahrt gesteigert. Leer starrte sie vor sich hin. Wie ein hallendes Flughafenterminal, dachte sie, alles Stein und Beton. Die aufgestaute Sorge bereitete ihr Übelkeit. Seitlich vor ihr lag eine Cafeteria neben hohen Fenstern. Irgendwie ungemütlich. Aber nichts wäre ihr jetzt angenehm vorgekommen.
Sie fror, obwohl es ein warmer Tag war. Sie war natürlich schon früher in der Lunder Uniklinik gewesen, eine Zeit lang zu Beginn ihres Medizinstudiums und später dann zur Weiterbildung, aber das half nicht. Ihr Blick irrte rastlos hin und her. Daher ging sie geradeaus zum Empfang.
»Ich will zur neurochirurgischen Intensivstation«, sagte sie und lehnte sich über die Theke.
Sie versuchte, gleichmäßig zu atmen. Es schauderte ihr vor dem, was sie erwartete. Schädeltrauma. Die kleine Cecilia, die sie heil und gesund zur Welt gebracht hatte. Sie konnte sich daran erinnern, als sei es gestern gewesen, obwohl es über zwanzig Jahre zurücklag. Die Geburt des ersten Kindes blieb auf immer im Gedächtnis haften. Jede Phase, vom langsamen Öffnen des Muttermundes bis zum Hervorbringen dieses zappelnden Wesens. Das Glück. Die Größe des Augenblicks.
Und jetzt hatte jemand dieses Kind angegriffen. Es zerstört.
»Neurointensiv befindet sich im zehnten Stock. Gehen Sie in das Fahrstuhlfoyer A«, sagte die Empfangsdame freundlich und deutete ans Ende der Eingangshalle, an der Cafeteria, dem Kiosk und dem Friseur vorbei.
Es war mitten am Tag und Besuchszeit. Vor den Fahrstühlen warteten viele Leute. Ungeduldig warf sie sich dem ersten Klingeln entgegen.
»Neurointensiv« lag an einem hellen Korridor. Sie blieb ratlos in der Mitte stehen. Blaue Türen, wohin sie auch sah.
Wo war Cecilia?
Sie fragte eine Pflegehelferin, und diese holte eine Schwester. Diese hieß sie willkommen.
»Sie sind also die Mutter von Cecilia Westman«, sagte sie. »Sie liegt da hinten.«
Schweigend führte sie die Schwester zu einem Intensivzimmer am Ende des Korridors. Zwei Betten. Das eine war leer. In dem anderen lag Cecilia.
Von Süden her schien die Sonne herein. Hier oben war der Himmel unerträglich blau und die Aussicht wunderbar, als schwebte man zwischen den Wolken.
Ein Körper, deponiert in einem Bett. Unnatürlich reglos. Mit weißem Gesicht und geschlossenen Augen, rasiertem Schädel, intubiert und an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Nicht ansprechbar. In Narkose.
Aber das war sie. Das war Cecilia.
Veronika ließ sich auf einen Stuhl neben dem Bett sinken und ergriff behutsam ihre Hand, um nicht an die Kanüle in ihrem Handrücken zu stoßen. Die Hand war warm. Vorsichtig strich sie ihrer Tochter über die Wange. Natürlich reagierte sie nicht. Aber es würde gut gehen, glaubte der Neurochirurg, mit dem sie am Telefon gesprochen hatte. Er musste es wissen. Der helle Klang dieser Worte hallte in der Dunkelheit der Verzweiflung wider.
Es würde gut gehen.
»Der Arzt kommt, wenn er im OP fertig ist«, sagte die Schwester, die sich ruhig im Zimmer bewegte, die Apparate neben dem Bett kontrollierte, Schläuche zurechtlegte und die zahllosen Kurven ablas, die rot auf Monitoren aufleuchteten.
»Wer kann so etwas nur getan haben?«, rief Veronika
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