Verdacht auf Mord
unersetzlich, dachte er. Natürlich nicht!
Alles schien somit auf einen echten Neubeginn hinzudeuten, eine Art Honeymoon, in dem er es ruhig angehen lassen konnte, bis wieder alles über ihm zusammenbrach, und er nicht wusste, wo ihm der Kopf stand, welche Ermittlung und welcher Bericht Vorrang hatte, was er erst mal links liegen lassen konnte und was er ganz einfach vergessen musste, um nicht vollkommen in der Arbeit zu ertrinken. Dann entdeckte er jedoch im Postzimmer, dass sein Fach randvoll war. »Kriminalkommissar Claes Claesson« stand auf einem Plastikstreifen unter seinem Fach. Ihm wurde ganz warm ums Herz, als er das sah. Die Freude dazuzugehören. Das hier war sein Arbeitsplatz. Hier stand sein Name. Hier wartete man auf ihn.
Er legte eine Hand auf den Poststapel, unterdrückte dann aber seine Neugier und ließ ihn liegen. Er würde einige Stunden lang mit dem Brieföffner in der Hand verbringen, wenn er jetzt anfing. Das meiste gehörte vermutlich ohnehin in den Papierkorb.
Gegen drei tranken sie Kaffee auf der Veranda. Die Wespen kreisten unablässig über dem Perlzucker auf den aufgetauten Zimtschnecken. Aber sie blieben beharrlich sitzen. Sie wollten die wenige Zeit nutzen, die sich die Veranda verwenden ließ. Bald würde das schlechte Herbstwetter über sie hereinbrechen.
Über den Zaun hinweg wechselten sie ein paar Worte mit ihrem Nachbarn Gruntzén, der mittlerweile mit einer zwanzig Jahre jüngeren Thailänderin in dem großen gelben Haus wohnte. Seine Exfrau und die beiden Kinder hatten die Idylle verlassen. Niemand in der Nachbarschaft wusste, wohin sie verschwunden waren, und keiner wagte zu fragen.
»Sie erwartet ein Kind«, sagte Veronika, während Claes den Rasenmäher aus dem Schuppen schob.
»Wie willst du das wissen?«
»Das sah man.«
Claes wunderte sich nicht mehr darüber, wie unterschiedlich die Sinnesorgane, darunter das Sehvermögen, funktionieren konnten. Obwohl er als Polizist darin geübt war, auch Details wahrzunehmen, schienen gerade Schwangerschaften ein blinder Fleck zu sein, sofern sie nicht schon fast ihr Endstadium erreicht hatten.
Um halb sechs aßen sie. Ausnahmsweise kochte Veronika. Spaghetti mit Hackfleischsauce. Der Rasen war frisch gemäht, und die abgeschnittenen Halme lagen in Häckselstreifen auf der Erde.
Veronika wirkte abwesend. Mit dem Zeigefinger strich sie sich schweigend und nachdenklich über den Nasenrücken.
»Ist irgendwas?«, wollte Claes wissen.
»Wieso geht Cecilia nicht ans Telefon?«, fragte sie stirnrunzelnd.
»Sie unternimmt vermutlich gerade etwas.«
Veronika wollte die Stimme ihrer großen Tochter hören. Sie sehnte sich nach ihr. Veronika und Cecilia hatten seit der Abreise nicht mehr miteinander geredet. Es gab viel zu erzählen.
Am Nachmittag hatte sie es kaum noch ausgehalten. Sie hatte wissen wollen, wie es in der neuen Wohnung war. Sie hatte sich von Cecilia alles erzählen lassen und die Freude in ihrer Stimme hören wollen. Aber sie hatte auch selbst von ihrer Reise erzählen und sich natürlich auch über die Hochzeit austauschen wollen. Wie hatte es Cecilia gefallen? Hatte sie nicht auch gefunden, dass Claes’ Schwester Gunilla eine wunderbare Frau war? Über den Bruder war sie jedoch nicht ganz so glücklich. Ganz zu schweigen von seiner Frau. Recht aufdringlich. Und der Presbyter, der so gerührt gewesen war, das sei doch etwas Besonderes gewesen. Er hatte hinten in der Kirche gestanden, und die Tränen waren ihm über die Wangen gelaufen.
Aber das war jetzt egal. Wenn nur ihre Tochter an den Apparat ging. Oder selbst anrief. Sich einfach irgendwie meldete.
Sie nahm wieder das schnurlose Telefon vom Küchentisch und wählte rasch die Nummer. Wartete eine Weile. Dann legte sie es langsam wieder auf die Tischplatte aus Kiefernholz. Schaute auf, Claes direkt in die Augen. Böse Vorahnungen, gibt es die?, überlegte er.
Ester Wilhelmsson hatte kurz vor drei ihre Nachmittagsschicht auf der Entbindungsstation angetreten und würde jetzt bald Feierabend machen. Es war kurz vor neun. Sie fühlte sich wahnsinnig müde, hatte aber glücklicherweise bereits das meiste von der Party aufgeräumt, bevor sie zur Arbeit gegangen war. Ihrer Meinung nach war die Party ein Erfolg gewesen. Sie hatte jetzt jedoch ein ziemliches Schlafdefizit.
Alle Kreißsäle waren den Nachmittag über sozusagen ständig belegt gewesen. Aber es war sowieso besser, alle Hände voll zu tun zu haben, wenn man müde war, als nur rumzusitzen.
»Ihr
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