Verdacht auf Mord
wollte sich schon Zeit lassen, wenn es im ganzen Körper kribbelte?
Als das Telefon klingelte, waren sie gerade dabei, ins Bett zu gehen.
»Für dich«, sagte Claes Claesson zu seiner Frau.
Er blieb neben ihr stehen. Sah, wie ihr Kopf nach vorne kippte. Ihr krauses Haar fiel wie ein Vorhang nach vorne und verbarg ihr Gesicht. Dann begann sie am ganzen Körper zu zittern.
Fünftes Kapitel
Montag, 2. September
W ir bezeichnen dies zwar als Tumor, aber er ist gutartig«, sagte der Arzt.
Jan Bodén fühlte sich recht schwach auf den Beinen. Bereits um acht Uhr hatten sie ihm Wasser in seine Gehörgänge gespült, ihm eine seltsame Brille aufgesetzt und ihn hin- und hergekippt, bis ihm speiübel geworden war. Dabei hatte er seltsamerweise das deutliche Gefühl gehabt, dass all dies nicht ihn betraf, ein Gefühl, das ihn seit dem erschütternden Vorfall im Spirituosenladen in Visby wie ein grauer Schatten verfolgte.
Er war dreihundert Kilometer von zu Hause entfernt. Das Krankenhaus seines Heimatortes hatte ihn an die Spezialisten der Uniklinik Lund überwiesen, was zweifellos beruhigend, aber gleichzeitig auch unheilverkündend war, da es bedeutete, dass es sich bei ihm nicht um eine Routineangelegenheit handelte. So weit, so gut. Eigentlich müsste er sich gut aufgehoben und gewissermaßen auserwählt fühlen. Dankbar darüber, in einer Zeit zu leben, in der die medizinische Forschung sich selbst immer wieder von neuem übertraf, wie jemand mal gesagt hatte, aber er war nicht dankbar. Jedenfalls noch nicht, obwohl er alles ihm Mögliche unternahm, um wenigstens ein wenig froh zu sein. Aber Dankbarkeit war dabei nicht vorgesehen.
»Die kriegen das schon wieder hin, glaub mir«, hatte die Rektorin gesagt, e ine großbusige Frau in Leinenkostüm, die Kerstin Malm hieß und nur »die Malm« genannt wurde. Sie hatte ihm rasch ihre Hand auf den Arm gelegt, als er ihr sein Attest überreicht hatte. In ihren Ohrläppchen hatten silberne Federn gebaumelt, muntere Ausrufezeichen unter rot gefärbter Pagenfrisur. Sie hatten in ihrem Büro mit Fenstern Richtung Osten gestanden, und die Morgensonne hatte auf den Schreibtisch gebrannt. Es war stickig und warm gewesen. Das Schuljahr hatte gerade begonnen, und die Malm hatte viel um die Ohren gehabt, worauf auch ihre vorgebeugte Haltung und rasche Atmung sowie die Aktenberge auf dem Schreibtisch und die ungeduldig Wartenden vor ihrer Tür hatten schließen lassen. Sie war auf dem Sprung gewesen, sehr viel mehr war deswegen nicht gesagt worden. Sie hatten sich nicht einmal hingesetzt.
Er war davongetrottet, hatte sich zwischen den lärmenden Schülern auf dem Korridor einen Weg gebahnt, ein fremder Vogel, der steifbeinig auf den Schulhof gegangen war und seinem Arbeitsplatz der letzten fünfundzwanzig Jahre den Rücken gekehrt hatte. Er hatte sich leer gefühlt.
Aber was hätte sie groß sagen sollen? Vielleicht waren ja die Worte der Malm wirklich aufrichtig gewesen, vielleicht hatte sie ja wirklich geglaubt, ein Ausflug ins Krankenhaus genüge und dann sei alles wieder so wie früher. Ungefähr so, wie wenn man sein Auto zur Wartung in die Werkstatt bringt.
Im Übrigen hatte er sich ja nie sonderlich für die Ansichten der Matrone Malm interessiert. Warum also jetzt damit beginnen?
Und genau wie Nina und alle anderen, denen er begegnete und die ihm stur und rhythmisch auf die Schulter klopften, wurde natürlich auch seine Chefin von einer Art zwanghafter Zuversicht beseelt, musste eine lange Reihe von Worten zwischen sich und den Kranken schieben, egal, wie schlimm es aussah. Nicht zuletzt, weil es Erfreulicheres gab, als sich mit jemandem zu unterhalten, dem das Todesurteil bereits auf die Stirn graviert war. Andererseits hatten die Leute ja gut reden, solange sie nicht selbst betroffen waren. Davon konnte Bodén ein bitteres Lied singen. Er hatte niemanden, absolut niemanden, dem er sich hätte anvertrauen wollen. Die aufmunternden Zurufe ermüdeten ihn nur. Wie ein kleines Kind drehte und wendete er jeden noch so kleinen Kommentar. Versuchte, Blößen zu finden. Und die Fragen häuften sich.
Warum?
Er war empfindlich geworden, und das erschöpfte und enttäuschte ihn. Er ertrug seine eigene Schwäche nicht. Er hatte geglaubt, über diesen ganzen gefühlsmäßigen Unsinn erhaben zu sein; was sich nicht messen oder wissenschaftlich beweisen ließ, war Luft, nichts, woran man einen Gedanken verschwenden musste. Er war nicht umsonst Naturwissenschaftler. Rationell in
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