Verdacht auf Mord
verzweifelt.
Die Schwester sagte nichts und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Der Hass brannte in Veronika. Sie biss die Zähne zusammen.
Dieser verdammte Mensch, der ihr Kind beinahe umgebracht hatte. Sie wollte es ihm gründlich heimzahlen.
Zitternd atmete sie ein und beruhigte sich ein wenig.
Cecilia lebte. Das war das Wichtigste. Trotz allem.
Akustikusneurinom.
So hieß das verfluchte Ding.
»Wie ich schon am Vormittag sagte. Wir bezeichnen es als einen Tumor, auch wenn er gutartig ist«, sagte Professor Mogren.
Es war die zweite Begegnung mit seinem Arzt, und Bodén kam er jetzt schon etwas vertrauter vor. Netter Mann, weder eingebildet noch wissenschaftlich trocken.
Vorsichtig wagte er es, sich zu entspannen.
»Wenn er sich an einer anderen Stelle befände«, fuhr Mogren fort, »könnte man ihn vielleicht ignorieren.«
Ihn. Es klang so, als würde er über ein menschliches Wesen sprechen. Einen üblen Zeitgenossen mit einer Seele und einem Denkvermögen, den es zu manipulieren galt. Er lebte ja tatsächlich auch, bestand aus Zellen, die sich ungehemmt teilten und kein Gefühl für Grenzen und das Gewebe in ihrer Umgebung hatten. Sie liefen Amok und waren zu Feinden geworden.
»Sie wachsen nur lokal, breiten sich nicht aus. In der Regel ist das Wachstum langsam. Ein Drittel der Zellen wachsen überhaupt nicht, beziehungsweise sehr langsam. Oft sind die Tumore klein, dann belassen wir sie einfach, wo sie sind, und untersuchen stattdessen die Patienten regelmäßig.«
Aber der seinige war also nicht klein. Verdammtes Pech. Er sah mit einem Mal die weiße Kugel vor sich.
»Der Haken ist, dass dieser Tumor an einer sehr unpraktischen Stelle sitzt. Wächst er, dann drückt er auf das Gewebe im hinteren Schädelbereich, und dann hat das Gehirn weniger Platz«, meinte Professor Mogren und deutete auf den eigenen Hinterkopf.
Bodén wollte nichts mehr hören.
»Ich wiederhole es noch einmal. Er breitet sich nicht im Körper aus«, fuhr Mogren rasch fort, da ihm Bodéns Reaktion aufgefallen war. »Er sitzt auf dem Gehör- und Gleichgewichtsnerv, und wenn man ihn vollständig entfernt, wächst er nicht nach.«
Nun wirkte der Arzt geradezu fröhlich. Bodén lauschte begierig.
»Viele Patienten flößt das Schwindelgefühl Angst ein, und sie deuten es als Anzeichen für einen Gehirntumor, aber eigentlich ist das ein ungewöhnliches Symptom. Schwindel ist in der Regel ungefährlich, aber natürlich unangenehm.«
Davon konnte Bodén ein Lied singen, da er sich phasenweise nur noch schwankend vorwärts bewegt hatte. Nun sah er ein, dass dies wohl unterschiedliche Gründe gehabt hatte.
Ob Angst das Dasein ins Wanken bringen konnte?
»Gelegentlich treten jedoch gewisse Gleichgewichtsstörungen auf, wenn man diesen Tumor hat, eine gewisse Unsicherheit …«
Bodén zuckte bei dem Wort »Tumor« immer noch zusammen. Ihm wurde übel davon.
»Meist kommt es auch zu einer Verschlechterung des Gehörs. Wird sie von dem Tumor verursacht, so ist sie einseitig. Die meisten Patienten leiden auch an Tinnitus.«
Bodén nickte. Ohrensausen und Probleme mit dem Gehör. Wie lange machten ihm diese Probleme jetzt eigentlich schon zu schaffen? Schwer zu sagen. Es fiel ihm nie leicht, Dinge zu datieren. Vor allem solche, die er nicht hatte wahrhaben wollen.
Es war Nachmittag geworden. Die Sonne ging an der roten Ziegelmauer vor dem Fenster unter. Die HNO-Klinik war ein Stück weit vom Block in einem der älteren, etwas heruntergekommenen, aber gemütlichen Gebäude untergebracht.
Professor Mogren machte eine längere Pause, um ihm Zeit zu geben, Fragen zu stellen. Bodén suchte fieberhaft in seinem Gedächtnis nach all den Fragen, die seit dem Befund in seinem Kopf herumgekreist waren, aber es fiel ihm nichts ein.
Doch, die Kinder.
»Ist das erblich?«, wollte er wissen.
»In der Regel nicht«, antwortete der Arzt.
»Meine Kinder werden das also nicht bekommen?«
»Vermutlich nicht.«
Mogren schien bereit zu sein, ihm auch dies eingehender zu erläutern, er wusste offenbar unendlich viel über diese Krankheit, aber dann sah Bodén, wie der Arzt innehielt, und ließ die Sache auf sich beruhen.
»Dann kommen wir zur eigentlichen Operation.«
Der Arzt setzte sich zurecht, beugte sich über den Schreibtisch und nahm den Auszug aus einer Krankenakte in die Hand. Hinter ihm standen Regale mit Ordnern und Videos. Die obersten Fächer waren leer. Platz für neue Fälle, dachte Bodén. Für Leute wie mich.
»Bei
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