Verdacht auf Mord
Treppenhaus, das auf die verschiedenen Stationen führte, zugingen.
Arbeitsgemeinschaft, dachte er. Sie gehören dazu.
Mit Ausnahme einer Frau am Kopiergerät und ein paar Studenten, die vor dem Vorlesungssaal ganz hinten im Korridor warteten, war er ganz allein.
Ihm war schon ein paar Mal der Gedanke gekommen aufzugeben. Teilweise hatte er ihn sogar schon in Handlung umgesetzt. Er wollte niemandem schaden. Er war schon gelegentlich, wenn es ihm nicht gelungen war, sich zusammenzureißen, auf der Toilette verschwunden und hatte dort lange genug ausgeharrt, um seine Finger nicht in eine warme Scheide stecken und die Öffnung des Muttermunds messen zu müssen, während die Wöchnerin stöhnte und widerwillig die Beine spreizte. Aber meist zwang er sich dazu, die Untersuchung durchzuführen, obwohl er sich wie ein Eindringling vorkam, und er versuchte dann immer, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Meist war es weich und feucht. Die Hebamme stand neben ihm und wartete. Zu welchem Ergebnis würde er kommen? Fünf Zentimeter hatte er einmal geschätzt. Darauf hatte sie entgegnet, das sei reines Wunschdenken. Wenn es drei seien, könnten sie schon froh sein! Er hatte in seinem weißen Ärztekittel im Entbindungsraum gestanden und es vermieden, den werdenden Eltern in die Augen zu sehen, und sich dabei bloßgestellt und erniedrigt gefühlt.
Plötzlich verließ einer der Chefärzte die Gruppe im Pausenzimmer. Er war sich nicht sicher, wie er hieß. Sein Gesicht wurde starr, und er bekam einen ganz trockenen Mund. Hatte er einen Fehler begangen? Schon wieder.
»Hätten Sie einen Augenblick Zeit?«, fragte der Chefarzt und lächelte, während er mit einem Schlüsselbund in seiner Hosentasche klapperte.
War das Lächeln ironisch? Der Ärztekittel war aufgeknöpft, und darunter trug er ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte.
Zeit? Er hatte jede Menge Zeit.
»Natürlich«, stammelte er und wagte es nicht einmal, den Blick zu senken, um auf dem Namensschild nachzulesen, wie sein Gegenüber hieß.
»Ich würde gerne etwas mit Ihnen besprechen, ziehe es aber vor, das in meinem Büro zu tun.«
Die tiefe Stimme des Chefarztes war immer noch leise, aber das Schlüsselrasseln war lauter geworden.
»Ich werde Sie nicht lange aufhalten.«
Er stand da und wartete. Hatte Angst, seinen Posten zu verlassen. Der Chefarzt bemerkte das.
»Sagen Sie einfach Bescheid, dass Sie später kommen«, zerstreute der Chefarzt seine Bedenken.
Also betrat er das Pausenzimmer, teilte mit, er werde auf die Entbindungsstation nachkommen, und folgte dann dem distinguierten Herrn in ein Büro mit unzähligen Papieren und dicken englischen und sogar deutschen Büchern in Regalen und auf dem Schreibtisch.
»Schließen Sie bitte die Tür.«
Er schloss sie leise und blieb dann unsicher stehen.
»Treten Sie näher.« Der Chefarzt deutete auf einen Stuhl neben dem Schreibtisch. »Also, mal unter uns …«
Der Mann lehnte sich vor und sprach leise, als hätten die Wände Ohren.
»Sie müssen wissen, dass Sie hier sehr willkommen sind.«
Stahlgraue Augen und frisch rasiert, glatte Wangen wie die eines Knaben. Er lächelte immer noch. Er lächelte ständig, das Lächeln war aber schwer zu deuten, etwas zu poliert und reserviert. Die weichen Hände, die er übereinanderlegte, wurden von einem Ehering und einem breiteren Doktorring geziert.
Vor Unsicherheit errötend saß er auf dem Besucherstuhl.
»Es freut uns immer, einen neuen Kollegen in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Und dass Sie ein Mann sind, ist von großem Vorteil. Da kann ich genauso gut ehrlich sein.«
Mit einem Mal witterte er etwas Gutes und Nachahmenswertes.
»Wir müssen realistisch sein«, fuhr der Chefarzt, der Nordin hieß, fort, inzwischen hatte er die Zeit gefunden, das Namensschild zu lesen. Dozent und Chefarzt Eskil Nordin. »Schließlich muss diese Fachrichtung vorangetrieben werden«, meinte Nordin. »Entwicklung führt zu Fortschritt. Und wünschen wir Fortschritt, so können wir wohl kaum die gesamte Frauenheilkunde nur den Frauen überlassen.«
Selbstverständlich hörte er, was sein älterer Kollege da sagte. Aber diese Direktheit erweckte in ihm den Verdacht, er könnte sich verhört haben, obwohl er natürlich wusste, dass in gewissen Kreisen darüber gemurrt wurde, dass die Majorität der werdenden Fachärzte für Gynäkologie Frauen waren. Ausgewogenheit und Vielfalt seien immer am besten. Keine Frage!
Mit einem Male saß er
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