Verdacht auf Mord
die Lampe über dem Arbeitstisch brannte.
Veronika atmete Luft ein. Ein ungleichmäßiges und halb ersticktes Atemholen, wie früher, als sie noch ein Kind gewesen war und plötzlich entdeckt hatte, dass sie allein gelassen worden war.
Es stank nach Abgasen. Taxis und Autos mit wartenden Angehörigen, die Motoren im Leerlauf. Die Luft in der Schlucht zwischen den beiden Flügeln des Zentralblocks wirkte kompakt und unbeweglich. Patienten mit Tropf und Sauerstoffflaschen saßen auf einer Bank neben dem Portal und rauchten erstaunlicherweise. Die Kippen warfen sie mit ungelenker Präzision in eine Zementschale, die schräg vor ihnen stand.
Sie wandte dem Zentralblock den Rücken zu, ging rasch am Pförtnerhaus vorbei auf die Hauptauffahrt der Klinik zu. Auf der anderen Seite lag der Friedhof und weckte gewisse Gedanken. Hier war die Luft vermutlich auch nicht viel sauberer, aber es stank nicht mehr so. Sie schritt rasch aus, Richtung Süden, auf das Zentrum zu. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, und sie zog ihre Jacke aus und öffnete einen weiteren Knopf ihrer Baumwollbluse.
Ich fange mich sicher gleich wieder, sagte sie zu sich selbst. Das ist gut. Das ist genauso wichtig, wie die Sorge und die Trauer zuzulassen.
Es war immer noch ungewöhnlich warm für die Jahreszeit. Es würde vermutlich einen fantastischen Herbst geben.
Die Autos strömten unerbittlich auf das mittelalterliche und enge Stadtzentrum zu, der Stau an der Kreuzung bei der Allhelgonakyrkan wurde immer länger, und die Abgase hüllten die Fußgänger ein, die an der Ampel warteten. Sie bog in die Sankt Laurentiigatan ein, die zum Bahnhof führte. Sie ging immer noch sehr aufrecht und war stolz darüber, sich wie ein Fisch im Wasser vorwärtszubewegen, obwohl sie gar nicht in Lund wohnte. Sie näherte sich dem Clemenstorget und konnte es nicht lassen, einen Blick auf den kleinen Laden zu werfen, der Brautkleider verkaufte und der am Anfang der Karl XI. Gata lag. Der Laden schien um zwei große Schaufenster voller Träume in Weiß erweitert worden zu sein.
Das Kleid, das sie dort im Frühjahr bestellt hatte, war inzwischen in Gebrauch genommen worden. Sie hatte es zwar nicht vorgehabt, sich in Schale zu werfen und sich etwas Teures oder Aufsehenerregendes zuzulegen. Sie hatte sich etwas Schlichtes gewünscht, worin sie kaum auffiel. Sie wusste selbst nicht, warum das so wichtig war.
Cecilia hatte den Laden ausfindig gemacht. Sie waren eigentlich nur aus Neugierde hingegangen. Etwa eine Stunde später hatten sie ein ärmelloses Satinkleid bestellt, in einer Farbe, die Toffee oder dunkler Champagner hieß. Der Halsausschnitt war kleidsam hoch und viereckig, ungewöhnlich, alles andere als brav gewesen, und trotzdem hatte sie sich nicht unbekleidet gefühlt. Oberhalb der Brust war sie recht mager und sah aus wie ein gerupftes Hühnchen, ihr Busen war ebenfalls recht klein. Die Stoffbahnen waren weich und schwer bis zu den Schuhspitzen herabgefallen. Eine Jacke in einem Chiffon in derselben Farbe war lose unter der Brust geknotet worden und hatte die nackten Schultern bedeckt.
Plötzlich hatte sie Lust, in den Laden zu gehen. Sie wollte erzählen, wie es gegangen war. Die Inhaberin war sehr entgegenkommend und nett gewesen. Wirklich nett, dachte Cecilia. Und das war mehr als einfach nur freundlich. Sie hatte sich wirklich für ihre Arbeit begeistert und den ganzen Laden mit ihrer Herzlichkeit erfüllt. Das war natürlich auch eine Voraussetzung für gute Geschäft, aber nicht immer Grund genug. Die meisten Leute waren einfach geschäftsmäßig freundlich.
Was konnte man auch mehr verlangen.
Dieses ganze Gerede von Interaktion und Kommunikation. Wann hatte das eigentlich begonnen? Sie überlegte. Als die Distanz so groß geworden war, dass die Leere im Körper fast schon schmerzhaft wurde? Und sich in Gelenken, Nacken- und Magenregionen festbiss? Als Freundlichkeit und Höflichkeit, die das Öl im Getriebe der Gesellschaft darstellten, keine Selbstverständlichkeit mehr gewesen waren, sondern etwas, was man verlangen musste. Wegrationalisiert. Stress und Rationalität waren angesagt. Was normale, nette Menschen immer getan hatten, miteinander geredet und sich nach dem Befinden der anderen erkundigt, war plötzlich zu etwas Besonderem mit geradezu professionellem Stempel geworden.
Über das Wort professionell hatte sie sich in letzter Zeit sowieso zunehmend geärgert. Es war trocken und vollkommen leer, weil es alles enthielt. Eine
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