Verdacht auf Mord
Und das Weiche, wenn er tief in sie eindrang. Rastlos und zielbewusst. Er hatte immer sofort auf ihre Avancen reagiert. Leicht entzündlich wie Petroleum. Leider auch genauso flüchtig. Lebte im Jetzt. Energisch, selbst in Situationen, wenn er aus Scham oder wegen eines schlechten Gewissens hätte zögern müssen. Und anschließend hatte er sich immer entfernt und all die Dinge getan, über die sie anfänglich nicht so viel gewusst hatte.
So war es damals gewesen. Wie es jetzt damit aussah, daran wagte sie nicht einmal zu denken. Es war zwanzig Jahre her, seit er mit ihr geschlafen hatte. Aber nicht nur mit ihr, sondern auch mit einem Haufen anderer Weiber.
Vielleicht waren es ja doch nicht so viele, dachte sie. In ihrem Kopf waren es immer mehr geworden. Aber ein Seitensprung genügte, um ihr Weltbild zu erschüttern. Vielleicht war das ja kleinlich und unreif von ihr. Er hatte immer gefunden, sie übertreibe. Er schlug doch nur mehr oder weniger zufällig ab und zu über die Stränge und dachte sich nichts dabei. Die andere war ihm nicht wichtig gewesen. Vielleicht waren es ja mehrere gewesen. So hatte er sich ausgedrückt. Hatte sich nicht scheiden lassen wollen. Hatte sie haben wollen. Die ganze Zeit. Aber er hatte sich nie erklären können. Jedenfalls nicht zu ihrer Zufriedenheit.
Und sie hatte sich dafür geschämt, ihm nicht zu genügen, was ihr Selbstvertrauen endgültig zerstört hatte. Sie wurde nicht geliebt.
War sie stur und kleinlich gewesen? Hätte sie nicht versuchen können, sich abzuregen, statt der Scheidungsstatistik zu entsprechen? Hätte sie nicht beharrlicher am Ideal der Kernfamilie festhalten sollen? Schließlich war ihr gemeinsames Leben keineswegs langweilig gewesen.
Aber sie war jung gewesen. Die Zweifel hatten an ihr genagt wie eine Spitzmaus. Es hatte wohl alles so seine Richtigkeit gehabt. Aber einfach war es bei Gott nicht gewesen. Aber notwendig.
Sie beendete diesen Gedankengang mit einem Schluck Wein. Ließ ihn auf der Zunge hin- und herrollen. Dann stellte – sie langsam das Glas ab.
»Wann wurde Schonen schwedisch?«, fragte sie.
Dan zog die Brauen hoch und sah sie verblüfft an, benötigte aber nicht einmal Zeit zum Nachdenken.
»Im Jahr 1658 beim Frieden von Roskilde.«
Sie nickte. So war das also.
Gleichzeitig schämte sie sich ein wenig. Drehte an ihrem Ehering. Eigentlich hatte sie ja Claes diese Frage stellen wollen.
Der Junge
W as außerhalb des Gedächtnisses geschieht.
Vier Jahre alt ist der Junge. Er steht auf der Veranda in der knallenden Sonne. Vom Meer her weht eine angenehme Brise. Er steht unbeweglich da, erstarrt in seiner Angst, die knubbeligen Füße in einem Paar Sandalen mit schwarzen Riemchen. Etwas o-beinig auf die weiche Art von Kindern. Shorts, ein Pflaster auf der einen Wade – immerhin hat sich irgendjemand die Mühe gemacht, ihm eins zu geben – und rote Mückenstiche an Armen und Beinen. Auf seinem T-Shirt ist ein Delfin über seinem runden Bauch.
»Mama und Papa kommen gleich«, sagt er leise und mürrisch und lässt den Kopf hängen.
Er wagt es nicht aufzuschauen. Auch nicht, sich zu bewegen. Er steht vollkommen still, den Erwachsenen ganz und gar ausgeliefert.
»Nicht bald. Aber dann!«
Die Stimme der Frau ist energisch und distanziert. Sie wischt den weißen Tisch auf der Veranda mit einem rosa Schwammtuch ab, reibt Rotweinflecken weg. Dann rückt sie die Stühle zurecht, rasch und energisch, und die Stuhlbeine knallen auf die Holzbohlen. Sie hat ihm den Rücken zugewandt.
Er steht ganz am Rand, Rosen, Lavendel, Rittersporn, Margerite und Königskerze wachsen hinter ihm auf dem schwach ansteigenden Hang.
»Mama und Papa kommen bald«, wiederholt er, da ihn niemand gehört hat.
Seine Stimme zittert leicht. Er lässt schwer den Kopf hängen. Die Haare fallen ihm in die Stirn. Er starrt auf seine Zehen, ohne diese wahrzunehmen. Seine Zehennägel sind eingerissen und schmutzig. Sommerfüße. Ab und zu wirft er von unten herauf einen raschen Blick auf die Frau in dem gelben Sommerkleid mit dem hochgesteckten Haar. Mittlerweile zerrt sie Kleidungsstücke von einem Trockengestell herunter.
»Mama und Papa kommen …«
Er verschluckt das letzte Wort. Die Stimme ist schwächer, aber genauso überzeugend. Sie kommen bald . Natürlich tun sie das! Sie halten mit dem Wagen vor dem Haus und lassen ihn einsteigen.
Er hat eine Spuckeblase im Mundwinkel, aber noch kommen keine Tränen.
»Heute Abend«, sagt die Frau und verschwindet mit
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