Verdacht auf Mord
Aber das sind alles Kleinigkeiten, wenn sie nur wieder aufwacht. Und dass sie dann immer noch dieselbe ist.
Es war kurz vor acht Uhr abends. Veronika und Dan saßen im Restaurant Café Finn bei der Kunsthalle am Mårtenstorget. Sie hatten bei einigen Restaurants durch die Tür geschaut und diese dann für zu laut und die Klientel für zu jung befunden. Zum Schluss hatten sie sich nach etwas Passendem erkundigt.
Lammfilet, Rösti und Rotwein mit dem Exmann. Nach zwanzig Jahren. Veronika nippte an ihrem Weinglas und fand die Situation gar nicht mal sonderlich zugespitzt.
Die Kerzenflamme spiegelte sich in der Glasscheibe, die auf dem dunkelblauen Tischtuch lag. Der Kerzenhalter war eine gewagte Kreation aus Eisen. Robust wie das gesamte Lokal. Die Wände waren bis zur von Eisenträgern getragenen Decke mit Plakaten von Kunstausstellungen tapeziert. Die Stimmung war intim und voller Vergangenheit.
Ein richtig guter Rotwein, dachte Veronika. Sie besaß nicht das Vokabular, um die subtileren Düfte und Geschmacksnoten zu beschreiben. Der Wein kam aus Sizilien. Sie drehte das Glas mit ihren Fingerspitzen. Sah sich im Lokal um. Recht voll. Ein langer Tisch nur mit Frauen. Füllige, magere und fröhliche, mit baumelnden Ohrringen und farblich passenden Halstüchern, alle mittleren Alters. Sie hatten auf die Quiche, den Pastasalat und den Tetra-Pak-Wein im Eigenheim zugunsten der Geselligkeit in der Kneipe verzichtet. An einem kleineren Tisch verschlang ein Mann in norwegischer Wolljacke eine Frau mit den Augen, eine Frau, deren langes, glanzloses Haar einen Haarschnitt nötig hatte. Die beiden waren älter und gesetzter als jene zwei, die vor dem Dom neben ihr gesessen hatten.
Die verliebten Paare schienen sie zu verfolgen.
An ihrem eigenen Tisch herrschte verlegenes Schweigen. Sie sagten nicht viel. Sie wich Dans Blick aus. Bedrückt saßen sie da wie graue Schatten aus der Vergangenheit.
Er hob sein Glas.
»Trinken wir auf …« ja, worauf sollten sie trinken?
»Cecilia«, meinte sie und überlegte, ob er das wohl anstößig fand.
Blaue Ringe um die Augen, die Haut gegerbt. Die gleichen etwas hängenden Wangen und tief liegende Augen. Er war attraktiv, obwohl er ziemlich mitgenommen wirkte. Lebendig trotz der nagenden Unruhe und Müdigkeit. Ungerechterweise blieben einige Leute so.
»Trinken wir darauf, dass sie wieder gesund wird«, sagte er.
Sie nickte. War so erschöpft, dass sie nicht einmal mehr weinen konnte. Sie war den Tränen sehr nahe gewesen, als er ihr in die Augen geschaut hatte, aber jetzt verflogen sie wie Nebelschwaden, die sich verziehen. Auch der Wein half. Sie hatte sich so lange angespannt, dass ihr Körper schon gar nicht mehr wusste, dass es auch anders ging. Die Müdigkeit überfiel sie -jetzt, wo sie sich endlich entspannte.
Sie betrachtete ihn nochmals. Kritischer. Konnte es nicht lassen. Sie war sich bewusst, dass er wahrscheinlich das Gleiche tat. Die Jahre waren nicht sonderlich gnädig mit ihm umgegangen. Wahrscheinlich lag es an diesen verdammten Zigaretten, die sie damals so geärgert hatten. Aber er hatte kürzlich aufgehört. Seine Kleidung war auch adretter. Die Sachen waren mehr aufeinander abgestimmt, Hemd und brauner Blazer. Wahrscheinlich kaufte seine Frau für ihn ein. Veronika konnte sich ein Bild von seiner neuen Frau machen, die gar nicht mehr so neu war. Sie war ehrgeiziger, als sie es je gewesen war. Vielleicht hatten sich aber auch nur die Zeiten geändert. Das Propere war in Mode gekommen. Dafür sah er jetzt etwas langweiliger aus. Weniger feurig.
Es ist jetzt zwanzig Jahre her, seit ich zum letzten Mal mit ihm geschlafen habe, dachte sie.
Es verblüffte sie, dass sie immer noch auf seinen Geruch reagierte. Der ließ sich offenbar nicht abschütteln. Pheromone, dachte sie. Sie hatte unlängst darüber einen Artikel im Ärzteblatt gelesen. Flüchtige Substanzen, die beim Empfänger über den Geruchssinn physiologische Prozesse und die dazugehörigen Verhaltensmuster in Gang setzen. Sie weckten das Begehren. Führten dazu, dass sich Menschen voneinander angezogen fühlten und so ihren Partner unbewusst über den Geruchssinn auswählten.
Stimmte das wirklich?
Sie konzentrierte ihren immer verschwommeneren Blick auf seine Finger, auf die dunklen Haare zwischen den Gelenken. Sie hatte vergessen, wie behaart er gewesen war. Aber sie erinnerte sich an das Gefühl, mit ihm zu schlafen. Ein Gefühl der Erfülltheit. Seine Hände und der erdige, würzige Ledergeruch.
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