Verdacht auf Mord
stehen und befand sich vermutlich mehr im OP als auf dem Golfplatz.
Cecilia war bewusstlos gewesen, als sie irgendwann gegen sechs eingeliefert worden war. Veronika hatte das alles schon einmal gehört, brauchte aber eine Auffrischung. Nicht dass sie es beim ersten Mal nicht begriffen hätte, aber dieses ständige Wiederholen, diese ewigen Erklärungen und Beschreibungen sowie die Lösung praktischer Fragen hielten die Angst in Schach, wenn auch immer nur sehr vorübergehend. Sie konnten die Trauer vor sich herschieben, Dan und sie. Den großen Schmerz, der so unbegreiflich war.
Dan erfuhr, was sie bereits wusste. Dass sie Cecilia sofort operiert hatten, und dass alle Frischoperierten in der Narkose blieben, bis das Ödem, also die Schwellung, zurückgegangen war.
»Wir werden sie also irgendwann nächste Woche aus der Narkose holen, wenn alles wie geplant verläuft.«
Feste Stimme. Gepflegtes Schonisch. Kein Zögern. Der Arzt wusste, was er tat und sah ihnen geradewegs in die Augen.
»Cecilia wird sich an die Zeit, als sie der Gewalttat ausgesetzt war, nicht erinnern.«
Die Gewalttat, der sie ausgesetzt war, dachte Veronika. Als sie das Pech hatte, sich in der Nähe eines bösen Menschen zu befinden, der sie niederschlug, misshandelte und schwer verletzte, dieser verdammte Idiot!
Sie spürte, wie ihr das Blut von neuem ins Gesicht stieg.
»Wahrscheinlich wird sie sich auch an die Minuten vor dem Schlag nicht erinnern. Damit müssen Sie rechnen. Möglicherweise erinnert sie sich daran, wie sie die Party verließ und welchen Weg sie dann einschlug. Das Kurzzeitgedächtnis befindet sich im Hippocampus. Aber wahrscheinlich hatte dieses Kurzzeitgedächtnis die letzten Gedächtniseindrücke noch nicht an die anderen Teile des Gehirns mit den dauerhafteren Gedächtnisfunktionen übertragen, ehe sie das Bewusstsein verlor. Man könnte also sagen, die Übertragung wurde unterbrochen.«
»Wie gut«, meinte Dan.
»ja, viele unserer Patienten finden das.«
»Und was wird dann?«
Die Angst lag zitternd im Raum. Dan hatte diese Frage auch nur mit Mühe über die Lippen gebracht.
»Die meisten werden ganz gesund. Damit rechnen wir auch in Cecilias Fall.«
Eine Pause entstand. Der Arzt lächelte sie aufmunternd an. Veronika erwiderte das Lächeln. Die meisten werden gesund. Das konnte sie sich nicht oft genug sagen lassen. Diese Erklärungen und Prognosen. Einiges überzeugte sie, an anderes wagte sie nicht recht zu glauben.
»Wenn es wirklich schlimm wäre, würde ich es Ihnen sagen«, fügte der Arzt mit etwas leiserer Stimme hinzu. »Es ist wichtig, niemandem falsche Hoffnungen zu machen.«
Dieses Mal stand Veronika auf der anderen Seite. Auf der der Zuhörer. Sie versuchte, nicht daran zu denken, dass es eine nützliche Erfahrung sein könnte. Dass sie anschließend eine mitfühlendere Ärztin sein würde, die den Patienten mehr Vertrauen einflößte und sich deutlicher ausdrückte. Schließlich war sie ein und dieselbe Person. Und im Moment eine ganz gewöhnliche unglückliche Angehörige.
Dans Gesicht glänzte. Die Nervosität hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. Er stellte unendlich viele Fragen und verlangte immer wieder Garantien. Veronika schämte sich fast. Er klang so wütend. Schockiert und aggressiv. Gleichzeitig tat er ihr leid. Sie hätte ihm gerne in seiner Verzweiflung geholfen.
Aber der Arzt blieb geduldig. Er wiederholte alles und klärte die meisten Missverständnisse. Aber die Angst ließ sich nur vorübergehend in Schach halten. Er wusste sicher, dass diese Fragen in ein paar Tagen wieder auftauchen konnten, als hätte er nie zuvor darüber gesprochen. Veronika dachte an alle Male, als das Pflegepersonal gekränkt gewesen war, weil die Patienten behauptet hatten, nicht informiert worden zu sein, obwohl man geduldig auf der Bettkante gesessen und alles erklärt hatte. Aber so war es eben. Das war menschlich.
»Nachdem wir Ihre Tochter hier entlassen haben, kommt sie, weil sie in Lund gemeldet ist, in die Rehaklinik nach Orup. Sie ist in einem ehemaligen Sanatorium etwa dreißig Kilometer von hier untergebracht. Die Lage ist sehr schön. Sie wird mindestens drei Monate lang nicht arbeiten oder studieren können. Sie müssen damit rechnen, dass sie mindestens ein halbes Jahr lang sehr müde sein wird, möglicherweise auch länger. Sie wird weniger energisch sein, Mühe haben, sich zu konzentrieren, und größeren Stimmungsschwankungen unterworfen sein.«
Meine Güte, dachte Veronika.
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