Verdacht auf Mord
Aber hätte sie ein Happy End ausgehalten? Sie fühlte sich trotz allem mehr von Schilderungen der Not angezogen.
Sie wusste nicht, wohin mit ihrer Energie. Sie hatte Kommissar Claesson angeschnauzt, ihn aber noch nicht persönlich mit ihrer zunehmenden Ohnmacht konfrontiert. Ein kleiner, dicklicher Typ namens Ludvigsson hatte sich bei ihr gemeldet. Sie hatte ihn im Präsidium aufgesucht. Er müsste sich mehr bewegen. Weniger Fett und mehr langsame Kohlenhydrate zu sich nehmen. Sie hätte ihm das fast gesagt, hatte es dann aber bleiben lassen.
Über die beiden, die sie dann zu Hause aufgesucht hatten, ließ sich nicht viel sagen. Die machten wohl einfach ihre Arbeit. Eine junge Polizistin in zu weiter Jacke, oder vielleicht war sie ja auch nur selbst zu klein, und ein robuster Mann, ein richtiger Polizist, der das Wort führte. Fragen, Fragen und noch mehr Fragen. Aber keine Antworten.
Das absolut letzte Lebenszeichen war aus Lund gekommen. Auch die dortige Polizei war natürlich eingeschaltet worden. Ein Arzt der HNO-Klinik hatte beteuert, dass sich Jan bei ihrer letzten Begegnung nicht auffällig verhalten habe. Eine Schwester der Poliklinik, die ebenfalls ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, konnte dies bestätigen. Jan hatte sich erkundigt, wo er Kaffee trinken könne, und die Schwester hatte ihm eine rosa Imbissbude gegenüber oder das Hauptgebäude, den Zentralblock, empfohlen.
Dann hatte sich seine Spur verloren.
Die Kinder riefen an, und das machte alles nur noch schlimmer. Besorgt stellten sie immer wieder dieselbe Frage. Im Prinzip war es die einzige Frage, die sich stellen ließ.
Wo konnte er nur sein?
Sie hatte Eva-Lena. Sie wusste außerdem alles. Eva-Lena war die Einzige, die ihr volles Vertrauen besaß, und sie stand immer zur Verfügung. Sie erwartete neue Berichte, die sie ihr gleichsam wie teure Geschenke zu Füßen legen sollte. Aber sie konnte nicht andauernd Eva-Lena in Anspruch nehmen. Sie hatte auch ihre Probleme, und die waren nicht gerade klein. Ihr Mann war ein widerlicher Kerl, und sie hatte noch nicht die Kraft aufgebracht, ihn zu verlassen. Es würde einen wahnsinnigen Ärger geben, glaubte Eva-Lena. Außerdem würde sie dann arm werden wie eine Kirchenmaus. Die Frage lautete, ob es das wert war. Die immer gleiche Frage. Und immer dieselbe diffuse Antwort. Was war schon etwas wert? Das ließ sich nie im Voraus sagen. Die Zukunft ließ sich nicht voraussagen. Hätte sie ihn umbringen können, ohne dafür belangt zu werden, so hätte sie schon längst diesen Ausweg gewählt, hatte Eva-Lena mit einem derben Lachen geäußert und die Sache damit als vollkommen unmöglich abgetan.
Aber war es so unmöglich?
Nina Bodén dachte über diese komplizierte Frage nach. Hatte sie sich je gewünscht, Jan wäre tot? Hatte sie?
Eva-Lena war in letzter Zeit schon etwas kurz angebunden gewesen – oder bildete sie sich das nur ein? Nein, so etwas bildete man sich in der Regel nicht ein, zumindest das hatte sie das Leben gelehrt. Es wirkte, als ob Eva-Lena nicht mehr so recht zu ihr hielt, aber sie rückte natürlich nicht mit der Sprache heraus. Wahrscheinlich hatte sie nie zu den Leuten gehört, die es wagten, sich mit Sauertöpfen auseinanderzusetzen. Sie rechnete damit, dass alle anderen ihre Gedanken lesen konnten und das Problem lösten, wenn sie nur lange genug bockte.
Mit solchen Mätzchen hatte Nina schon lange aufgehört.
Wie durch ein Wunder war es ihr tatsächlich während der letzten Woche gelungen, ihre Arbeit zu erledigen. Beschäftigung lenkte sie ab. Pflichtschuldig war sie in ihrem kleinen weißen Dienstwagen herumgefahren und hatte Hausbesuche gemacht. Dienstag und Donnerstag war sie weit raus aufs Land gefahren, weil Gullbritt krank war und jemand ihren Bezirk hatte übernehmen müssen. Der Wald, der die Landstraßen flankierte, hatte sie getröstet. Ebenso die roten Holzhäuschen, vor denen Astern und Chrysanthemen wuchsen.
Noch wusste niemand in dieser Einöde, was sie bedrückte. Ihr blieben die neugierigen und fragenden Blicke erspart. Sie musste Jans Verhalten nicht rechtfertigen.
Typisch!
Zu Hause war es schlimmer. Die Leute fragten, warum Jan jetzt schon so lange weg sei. Wie es in der Uniklinik in Lund gegangen sei. Alle diese Gespräche waren heikel, und deswegen blieb sie am liebsten zu Hause. Wie oft hatte sie schon Lust zu sagen, dass sie keine Ahnung hätte? Dass die Polizei ihn suchen würde, aber dass sie selbst nicht den blassesten Schimmer hätte, wo
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