Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
nickte. Er empfand gegenüber den Geisteswissenschaftlern genauso. Aber es war eine seltsame Vorstellung, dass jemand, der zur gleichen Zeit auf der Uni gewesen war wie er, jetzt Kommissar war.
»Kusanagi hat mir erzählt, dass du Mathematik an der Oberschule unterrichtest«, sagte Yukawa und sah Ishigami ins Gesicht.
»Ja, die Schule ist hier ganz in der Nähe.«
»Ja, so hat er es gesagt.«
»Und du arbeitest an der Uni?«
»Ja, im Labor 13«, antwortete Yukawa einfach. Ishigami merkte, dass er nicht die Absicht hatte, sich hervorzutun.
»Bist du Professor?«
»Nein, ich hangle mich so durch. Die Luft ist ziemlich dünn da oben, wenn du verstehst, was ich meine«, sagte Yukawa ohne erkennbaren Verdruss.
»Ich habe angenommen, dass du inzwischen längst eine Professur hast, allein schon wegen deines Erfolgs mit dem magnetischen Zahnrad.«
Yukawa lachte und rieb sich das Gesicht.
»Du bist wahrscheinlich der Einzige, der sich noch daran erinnert. Letzten Endes wurde nie ein Prototyp erstellt, und jetzt ist es nicht mehr als eine leere Theorie auf dem Schreibtisch.« Yukawa begann, die mitgebrachte Sake-Flasche zu öffnen.
Ishigami erhob sich und holte zwei Schälchen aus dem Schrank.
»Aber von dir hätte ich erwartet, dass du als Professor an irgendeiner Uni sitzt und die Riemannsche Vermutung in Frage stellst«, sagte Yukawa. »Was ist aus Ishigami, dem Bodhidharma der Mathematik, geworden? Oder trittst du wirklich in Erdős Fußstapfen und gibst den wandernden Mathematiker?«
»Nichts dergleichen, leider.« Ishigami seufzte leise.
»Dann wollen wir uns mal einen Schluck genehmigen.« Yukawa beendete die Befragung und schenkte Sake ein. »Auf dein Wohl, alter Knabe.«
Natürlich hatte Ishigami beabsichtigt, sein Leben ganz der Mathematik zu widmen. Er wollte nach dem Magister an der Universität bleiben und wie Yukawa promovieren. Dieser Plan war gescheitert, weil er für seine alten und kranken Eltern sorgen musste. Es war unmöglich für ihn, weiterzustudieren und gleichzeitig arbeiten zu gehen. Damals erzählte ihm einer seiner Lehrer von einer neuen Universität, an der ein Assistent gesucht werde. Sie lag in erreichbarer Entfernung von seinem Elternhaus, und er hätte seine wissenschaftliche Arbeit fortsetzen können. Er beschloss, die Gelegenheit zu ergreifen, ein Entschluss, der sein Leben völlig aus dem Gleichgewicht brachte.
Denn an dieser Universität war an Forschungsarbeit nicht zu denken. Die Professoren waren so vollständig von ihren Grabenkämpfen in Anspruch genommen, dass sie keinerlei Sinn für die Förderung junger Wissenschaftler oder bahnbrechende Forschungsprojekte hatten. Ishigamis mühsam erarbeitete Thesenpapiere landeten regelmäßig und für unabsehbare Zeit in der Schublade irgendeines Professors. Überdies war das Niveau der Studenten niedrig, und er brauchte so viel Zeit, junge Leute zu unterrichten, die kaum den Stoff der Oberstufe beherrschten, dass er zu kaum etwas anderem kam. Im Verhältnis zu seinen Leistungen war sein Gehalt deprimierend gering.
Er versuchte, eine Stelle an einer anderen Universität zu finden, aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Nur wenige Universitäten verfügten über einen Fachbereich Mathematik.Und die wenigen hatten einen sehr kleinen Etat und nicht die Mittel, Assistenten einzustellen. Im Gegensatz zu den Ingenieurwissenschaften wurde die Mathematik auch nicht von der Industrie gefördert. Ishigami war also gezwungen, eine andere Richtung einzuschlagen. Er beschloss, die Lehrbefähigung, die er durch sein Studium erworben hatte, zu seinem Broterwerb zu machen. Dies bedeutete zugleich den Verzicht auf eine Laufbahn als Mathematiker. Er sah jedoch keinen Sinn darin, Yukawa von all dem zu erzählen. Die meisten Menschen, die eine Laufbahn in der Forschung aufgeben mussten, waren in eine ähnliche Lage geraten. Ishigami wusste, dass er keine Ausnahme war.
Als Sushi und Sashimi gebracht wurden, aßen sie und tranken auch noch ein wenig. Nachdem sie Yukawas Sake geleert hatten, holte Ishigami seinen Whiskey hervor. Er war kein großer Trinker, aber er genehmigte sich hin und wieder einen Schluck zur Entspannung, wenn er eine besonders schwierige mathematische Aufgabe gelöst hatte.
Das Gespräch war nicht gerade angeregt, aber Ishigami genoss es, Erinnerungen aus der Studentenzeit auszutauschen und über Mathematik zu sprechen. Ihm wurde bewusst, wie lange er sich so etwas nicht gegönnt hatte. Vielleicht war dies das erste Mal seit
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