Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
Fehler. Deshalb hat er die These auch nicht publiziert.«
»Ist ja klar, wenn sogar ich ihn finde«, sagte Ishigami niedergeschlagen.
»Was redest du da? Das war grandios. Der Professor hat gesagt, nicht mal ein Spitzenmathematiker könnte den Irrtum in einer Sitzung ausfindig machen.« Yukawa sah auf die Uhr. »Und du hast es in sechs Stunden geschafft. Ein Wunder!«
»Sechs Stunden?« Ishigami sah aus dem Fenster. Draußen wurde es schon hell. Er schaute auf seinen Wecker. Es war fast fünf Uhr morgens.
»Du bist noch immer der Alte. Ich bin direkt erleichtert«, sagte Yukawa. »Ishigami, der Bodhidharma, lebt.«
»Tut mir leid, Yukawa. Ich hatte dich ganz vergessen.«
»Macht gar nichts. Aber du solltest lieber noch ein bisschen schlafen. Du hast sicher heute Schule, oder?«
»Ja, aber ich kann sowieso nicht schlafen, ich bin zu aufgeregt. Ich habe schon lange nicht mehr so konzentriert gearbeitet. Danke.« Ishigami streckte die Hand aus.
»Ich bin froh, dass ich gekommen bin«, sagte Yukawa und schüttelte sie kräftig.
Ishigami schlief bis sieben Uhr. Nach der geistigen Anstrengung oder vielleicht, weil er innerlich befriedigt war, schlief er sehr tief. Als er aufwachte, fühlte er sich viel klarer im Kopf als sonst, obwohl er so wenig geschlafen hatte.
Yukawa war noch geblieben. »Deine Nachbarn stehen ganz schön früh auf«, sagte er zu Ishigami, als dieser sich bereitmachte, zur Schule zu gehen.
»Wirklich?«
»Ich habe sie kurz nach halb sieben aus dem Haus gehen hören.«
Yukawa war also nicht mehr eingeschlafen.
Ishigami überlegte, ob er etwas dazu sagen sollte, aber Yukawa fuhr bereits fort. »Dieser Kommissar Kusanagi, von dem ich dir erzählt habe, sagt, sie sei eine Verdächtige. Deshalb war er auch bei dir.«
Ishigami zog sein Jackett an. »Erzählt er dir von seinen Fällen?«
»Ja, manchmal. Er kommt, um Dampf abzulassen und zu jammern, bevor ich ihn loswerden kann.«
»Worum geht es bei dem Fall eigentlich? Kommissar – wie heißt er noch – Kusanagi hat sich nicht sehr ausführlich geäußert.«
»Anscheinend wurde ein Mann ermordet. Er war der Geschiedene von deiner Nachbarin.«
»Aha«, sagte Ishigami mit ausdruckloser Miene.
»Kennst du sie näher?«, fragte Yukawa.
Ishigami überlegte fieberhaft. Aus Yukawas Ton zu schließen, verbarg sich keine besondere Absicht hinter der Frage. Wahrscheinlich würde eine vage Antwort genügen. Andererseits war Yukawa mit dem Kommissar befreundet. Diesen Punkt durfte er nicht außer Acht lassen. Vielleicht würde er Kusanagi von ihrem Wiedersehen erzählen. Er musste eine vernünftige Antwort geben.
»Näher würde ich nicht sagen, aber ich gehe hin und wieder in den Bento-Laden, in dem Frau Hanaoka – so heißt meine Nachbarin – arbeitet. Da fällt mir ein, dass ich vergessen habe, Kommissar Kusanagi davon zu erzählen.«
»Sie ist also Verkäuferin.« Yukawa nickte.
»Nicht dass ich in dem Laden kaufe, weil meine Nachbarin dort arbeitet. Ich kaufe nur zufällig dort. Der Laden liegt in der Nähe der Schule.«
»Verstehe. Aber auch wenn du sie kaum kennst, ist es doch sicher unangenehm für dich, dass sie verdächtigt wird.«
»Nicht besonders. Ich habe ja nichts damit zu tun.«
Gegen halb acht verließen sie die Wohnung. Yukawa sagte, er wolle Ishigami bis zur Schule begleiten, statt die nächstgelegene U-Bahn an der Station Morishita zu nehmen. Außerdem würde er auf diese Weise nicht umsteigen müssen.
Yukawa erwähnte den Fall und Yasuko Hanaoka nicht mehr. Anfangs hatte Ishigami geargwöhnt, Kusanagi hätte ihn geschickt, um ihn auszuhorchen, aber wahrscheinlich hatte er zu viel über die Sache nachgedacht. Warum sollte Kusanagi sich auf dermaßen umständliche Weise Informationen beschaffen?
»Dein Weg zur Arbeit ist interessant«, sagte Yukawa, als sie unter der Shin-Ohashi-Brücke hindurch und am Ufer desSumida entlanggingen. Wahrscheinlich weil dort die Behausungen der Obdachlosen waren.
Der Grauhaarige mit dem Pferdeschwanz hängte gerade seine Wäsche auf. Neben ihm zertrat der von Ishigami so getaufte Dosenmann wie üblich leere Dosen.
»Es ist jeden Tag das Gleiche«, sagte Ishigami. »Den ganzen Monat hat sich nichts verändert. Diese Leute leben wie nach der Stechuhr.«
»Das passiert, wenn man die Menschen von der Uhr befreit.«
»Da könntest du recht haben.«
Sie stiegen die Treppe an der Kiyosu-Brücke hinauf. Direkt daneben stand ein Bürogebäude. Beim Anblick ihres Spiegelbildes in einer
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