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Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)

Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)

Titel: Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keigo Higashino
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seinem Studium. Wahrscheinlich war Yukawa der einzige Mensch, der ihn verstand und anerkannte.
    »Ach, jetzt hätte ich das Wichtigste fast vergessen«, sagte Yukawa plötzlich. Er zog einen großen braunen Umschlag aus seiner Papiertüte und legte ihn vor Ishigami hin.
    »Was ist das?«, fragte Ishigami.
    »Dann guck mal rein«, sagte Yukawa und grinste.
    In dem Umschlag befand sich ein DIN-A 4-Blatt, das dicht mit Formeln beschrieben war. Ishigami warf einen Blick daraufund erkannte sofort, worum es sich handelte. »Ein Versuch, die Riemannsche Vermutung zu widerlegen.«
    »Du hast es auf den ersten Blick gesehen.«
    Die Riemannsche Vermutung galt als eines der bedeutendsten bisher ungelösten Probleme, denen sich die moderne Mathematik gegenübersah.
    Das Papier, das Yukawa mitgebracht hatte, war der Versuch zu beweisen, dass die Hypothese falsch war. Ishigami wusste, dass Wissenschaftler auf der ganzen Welt sich mit dieser Aufgabe beschäftigten. Natürlich war noch niemandem eine Gegenhypothese gelungen.
    »Einer von unseren Mathematikprofessoren war so freundlich, mich das Blatt kopieren zu lassen. Es ist noch nirgendwo veröffentlicht worden. Es ist kein vollständiger Gegenbeweis, aber sie scheinen auf dem richtigen Weg zu sein«, sagte Yukawa.
    »Also wäre die Riemannsche Hypothese falsch?«
    »Ich sagte nur, sie scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Wenn sie aber stimmt, muss es hier einen Fehler geben.«
    Yukawa machte Augen wie ein durchtriebener Novize, dem eine schlaue List geglückt ist. Ishigami wusste, dass es sich um eine Herausforderung handelte. Yukawa wollte sehen, ob Ishigamis Genius gelitten hatte.
    »Darf ich mal sehen?«
    »Dazu habe ich es mitgebracht.«
    Ishigami nahm das Papier in Augenschein. Bald erhob er sich und ging an seinen Schreibtisch. Er legte ein neues Blatt vor sich hin und griff nach einem Kugelschreiber.
    »Du bist natürlich mit dem Problem P-NP vertraut?«, fragte Yukawa von hinten.
    Ishigami wandte sich um. »Die Frage, ob es ebenso leicht ist, die Richtigkeit der Ergebnisse einer anderen Person zuüberprüfen, wie eine Aufgabe selbst zu lösen. Oder in welchem Verhältnis der Grad der Schwierigkeit zueinander steht. Es gehört zu den Problemen, für deren Lösung das Clay Institute for Mathematics einen Preis ausgesetzt hat.«
    »Hätte ich mir denken können.« Yukawa lächelte und rückte seine Brille zurecht.
    Ishigami wandte sich wieder dem Schreibtisch zu.
    Für ihn kam die Mathematik einer Schatzsuche gleich. Zuerst musste man sich vergewissern, an welchem Punkt man ansetzen konnte, und dann überlegen, welche Route man einschlagen wollte, um zu einer Lösung zu gelangen. Anhand dieses Plans ließen sich Formeln aufstellen, die bei der Spurensuche halfen. Wenn die gesteckte Route ins Leere führte, musste man sie ändern. Nur durch geduldige, aber kühne Strategien konnte man einen Schatz heben, den nie zuvor jemand entdeckt hatte. Daher mochte es einfach erscheinen, die Beweisführung anderer zu überprüfen und bereits beschrittene Pfade nachzuvollziehen. Doch in Wirklichkeit war es das mitnichten. Man konnte einer falschen Route zu einem falschen Schatz folgen. Aber den Beweis zu erbringen, dass es der falsche war, konnte sich als schwieriger erweisen als die Suche nach der richtigen Lösung.
    Der Mathematiklehrer vergaß die Zeit. Kampfgeist, Forscherdrang und Ehrgeiz hatten ihn gepackt. Nicht für einen Moment wandte er den Blick von den Formeln ab, jede einzelne seiner Gehirnzellen war für sie im Einsatz.
     
    Plötzlich sprang Ishigami auf und drehte sich mit dem Blatt Papier in der Hand um. Yukawa hatte sich in seinem Mantel zusammengerollt und schlief.
    »Wach auf! Ich hab’s.« Ishigami rüttelte ihn.
    Schlaftrunken richtete Yukawa sich auf. Er rieb sich die Augen und sah Ishigami an.
    »Was ist?«
    »Ich hab’s. Dieser Gegenbeweis ist leider falsch. Er ist ein interessanter Versuch, aber es gibt da einen grundlegenden Irrtum in der Verteilung der Primzahlen …«
    »Moment, Moment. Warte doch mal!« Yukawa hob die Hand. »Mein Kopf ist noch nicht wach genug für so komplizierte Erklärungen. Aber ich muss zugeben, dass ich auch im wacheren Zustand hoffnungslos bin, was die Riemannsche Vermutung angeht. Ich habe das nur mitgebracht, weil ich dachte, es könnte dich interessieren.«
    »Aber hast du nicht gesagt, du bist der Ansicht, sie seien auf dem richtigen Weg?«
    »Ich habe nur nachgeplappert, was der Professor gesagt hat. Er weiß von dem

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