Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
bräuchten einen Rat?«, fragte Yasuko, als sie es nicht mehr aushielt.
Aber Yukawa schwieg, bis ihre innere Anspannung fast unerträglich war. »Er ist ein sehr geradliniger Mann«, sagte er endlich.
»Wie meinen Sie das?«
»Er ist ein einfacher Mann. Ich meine, die Antworten, die er sucht, sind einfach. Er forscht nie nach mehreren Dingen gleichzeitig. Und versucht immer, auf dem direktesten Weg an sein Ziel zu gelangen, und hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf. Deshalb verirrt er sich auch nie. Aber im alltäglichen Leben ist diese Strategie des Alles oder Nichts nicht sehr erfolgreich. Am Ende steht man mit leeren Händen da, das ist immer die Gefahr dabei.«
»Herr Yukawa, ich …«
»Entschuldigen Sie, ich drücke mich unverständlich aus.« Yukawa lächelte bitter. »Sie haben Ishigami das erste Mal gesehen,als Sie in Ihre jetzige Wohnung gezogen sind, nicht wahr?«
»Ja, als ich mich den Nachbarn vorgestellt habe.«
»Damals haben Sie ihm erzählt, dass Sie in dem Bento-Geschäft arbeiten, ja?«
»Ja, schon …«
»Danach hat er angefangen, regelmäßig dort zu kaufen?«
»Ich glaube, ja.«
»Sie hatten natürlich nicht viel mit ihm zu tun, aber vielleicht hat irgendetwas an ihm einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen? Egal was.«
Yasuko war ratlos. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. »Warum fragen Sie das?«
Yukawa sah sie an, während sie gingen. »Er ist mein Freund, wissen Sie. Ein wichtiger Freund, und es interessiert mich.«
»Aber wir haben so wenig miteinander zu tun, dass ich wirklich nicht …«
»Für ihn war die Begegnung mit Ihnen von großer Bedeutung«, sagte Yukawa. »Von enormer Bedeutung. Das muss Ihnen doch klar sein.«
Yasuko überlief es kalt, als sie den ernsten Ausdruck in seinen Augen sah. Sie erkannte, dass dieser Mann von Ishigamis Zuneigung zu ihr wusste, und sich fragte, wie es dazu gekommen war. Yasuko hatte darüber nie nachgedacht. Aber sie wusste sehr genau, dass sie nicht so schön war, dass man sich Hals über Kopf in sie verliebte. Sie schüttelte den Kopf. »Da fällt mir nichts Bestimmtes ein. Ich habe wirklich kaum mit Herrn Ishigami gesprochen.«
»Erstaunlich, aber so etwas gibt es wohl.« Yukawas Ton wurde milder. »Was halten Sie von ihm?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sein Interesse ist Ihnen doch sicher aufgefallen. Wie stehen Sie dazu?«
Die Frage brachte Yasuko in Verlegenheit. Aber sie mit einem Scherz abzutun, war in dieser Situation nicht angebracht. »Leider empfinde ich nichts Besonderes, aber Ihr Freund ist sicher ein anständiger Mensch. Und sehr intelligent.«
»Anständig und intelligent, stimmt, da kennen Sie ihn doch ziemlich gut.«
»Das ist lediglich mein Eindruck.«
»Also gut, entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit so lange in Anspruch genommen habe.« Yukawa übergab ihr das Fahrrad. »Grüßen Sie Ishigami von mir.«
»Aber ich weiß ja gar nicht, ob ich ihn sehe …«
Doch Yukawa machte nur lächelnd kehrt und ging seiner Wege. Yasuko sah ihm nach. Dieser Mensch wirkte unsagbar bedrückend auf sie.
Kapitel 14
Ishigami blickte in eine Reihe sorgenvoller Gesichter. Einige sahen geradezu unglücklich aus, manche sogar richtig verzweifelt. Morioka starrte, auch nachdem Ishigami das Startsignal gegeben hatte, das Kinn in eine Hand gestützt aus dem Fenster, ohne auch nur einen Blick auf das Blatt mit den Aufgaben zu werfen. Es war ein schöner Tag, und ein endlos blauer Himmel wölbte sich über der Schule. Morioka sehnte sich wahrscheinlich danach, auf seinem Motorrad durch die Gegend zu brausen.
Die Frühjahrsferien hatten bereits begonnen. Nur diese Schüler mussten zu ihrem Verdruss noch eine Klassenarbeit hinter sich bringen. Zu viele hatten nicht einmal die Wiederholungsarbeit geschafft und waren jetzt zu einer weiteren Nachprüfung verdonnert. 30 von Ishigamis Schülern gehörten dazu. In Mathematik waren es mehr als in jedem anderen Fach. Heute fand also die Nachprüfung der Nachprüfung statt.
Als Ishigami die Aufgaben zusammenstellte, hatte der Direktor darauf geachtet, dass sie nicht zu schwer ausfielen. Ishigami selbst fand seine Aufgaben nicht schwierig. Im Gegenteil. Sie wichen in keiner Weise von dem im Unterricht durchgenommenen Stoff ab. Mit ein paar grundlegenden Kenntnissen hätte jeder sie lösen können. Er veränderte sie nur ganz leicht, so dass sie geringfügigst von jenen im Mathematikbuch und auf den Übungsblättern abwichen. Deshalb scheiterten diejenigen Schüler, die die
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