Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
Bahnhof Kinshicho grübelte er über Sonoko Sugimuras letzte Aussage nach. Wenn sie Yasuko angerufen hatte, musste diese zwangsläufig zu Hause gewesen sein.
Einige der Ermittler vertraten die Ansicht, der Mord sei in Wirklichkeit zwischen 22 und 23 Uhr begangen worden, eine These, die auf der Annahme basierte, dass Yasuko Hanaoka die Mörderin war. Auch wenn das Karaoke-Alibi sich als wasserdicht erwiesen hatte, bestand noch immer die Möglichkeit, dass sie die Tat anschließend begangen hatte. Allerdings fand diese Theorie nicht viel Beifall. Wenn sie stimmte, hätte Yasuko Hanaoka nach dem Verlassen der Karaoke-Bar sofort zum Tatort eilen müssen, um gegen Mitternacht dort einzutreffen. Nach dem Mord hätte sie dann nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause fahren können. Und Mörder nahmen für gewöhnlich kein Taxi, weil es Spuren hinterließ. Außerdem verirrte sich kaum je eins in diese einsame Gegend am Fluss.
Dann war da noch das Fahrrad. Es war vor 22 Uhr gestohlen worden. Falls Yasuko die Polizei damit auf eine falsche Spur hatte locken wollen, hätte sie um diese Zeit am Bahnhof Shinozaki sein müssen. Wenn jedoch wirklich Togashi es gestohlen hatte, blieb die Frage, was er in der Zeit zwischen dem Diebstahl und seinem mitternächtlichen Treffen mit Yasuko unternommen hatte.
Bisher hatte Kusanagi keine Notwendigkeit gesehen, ein Alibi für die Zeit nach dem Besuch der Karaoke-Bar von Yasuko zu verlangen. Jetzt brauchte er sie nicht mehr zu fragen, denn er wusste, dass sie eins hatte. Das bereitete ihm Unbehagen.
»Erinnerst du dich noch daran, als wir das erste Mal mit Yasuko Hanaoka gesprochen haben?«, fragte er Kishitani.
»Ja, natürlich. Was ist damit?«
»Wie habe ich mich ausgedrückt, als ich sie nach ihrem Alibi fragte? Wo sie am 10. März gewesen sei?«
»Ganz genau weiß ich das nicht mehr.«
»Geantwortet hat sie, sie habe tagsüber gearbeitet und sei am Abend mit ihrer Tochter ausgegangen. Erst ins Kino, dann essen, dann zum Karaoke. Kurz nach elf seien sie wieder zu Hause gewesen. So war es doch, oder?«
»Ja richtig.«
»Wie Frau Sugimura sagt, hat Yasuko sie danach noch angerufen und hat, obwohl es um nichts Wichtiges ging, eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Gegen eins hat Frau Sugimura sie zurückgerufen, und sie haben etwa dreißig Minuten gesprochen.«
»Ja, und was ist damit?«
»Nun, warum hat Yasuko das nicht erwähnt, als ich sie nach ihrem Alibi gefragt habe?«
»Vielleicht hielt sie es nicht für notwendig.«
»Und warum nicht?« Kusanagi blieb stehen und sah seinen jüngeren Kollegen an. »Das wäre doch der Beweis gewesen, dass sie zu Hause war.«
Auch Kishitani hielt inne. »Das mag sein, aber vielleicht genügte es aus Yasuko Hanaokas Sicht zu erzählen, dass sie ausgegangen waren. Hättest du sie gefragt, was sie gemacht hat, nachdem sie zu Hause angekommen war, hätte sie sicher von dem Telefonat erzählt.«
»Ob das wirklich der einzige Grund war?«
»Fällt Ihnen ein anderer ein? Zu verbergen, dass man kein Alibi hat, ist eine Sache, aber sie hatte ja eins. Ich finde es seltsam, sich darüber aufzuregen«, sagte Kishitani missmutig.
Kusanagi ging weiter. Von Anfang an hatte sein jüngerer Kollege Partei für Yasuko Hanaoka ergriffen. Offenbar war es zwecklos, eine objektive Meinung von ihm zu erwarten.
Er ließ sich das Gespräch, das er mit Yukawa geführt hatte,noch einmal durch den Kopf gehen. Sein Freund vertrat die Ansicht, dass, falls Ishigami an dem Mord beteiligt gewesen sei, dieser keineswegs geplant gewesen sein könne.
»Hätte er ihn geplant, hätte er niemals ein Kino als Alibi verwendet«, hatte Yukawa behauptet. »Genau wie ihr hätte er gewusst, dass es nicht funktioniert. Ausgeschlossen, dass er das nicht bedacht hätte. Außerdem stellt sich noch eine andere, viel wichtigere Frage. Aus welchem Grund sollte Ishigami, Yasuko helfen, Togashi umzubringen? Selbst wenn sie unter Togashi zu leiden hatte, hätte Ishigami bestimmt eine andere Lösung für das Problem gefunden. Er hätte sich nie für einen Mord entschieden.«
»Weil Ishigami kein bösartiger Mensch ist?«, hatte Kusanagi gefragt. Yukawa hatte ungerührt den Kopf geschüttelt.
»Das ist keine Frage von Gut oder Böse. Mord stellt nie einen vernünftigen Ausweg dar. Durch einen Mord führt man nur weitere, neue Schwierigkeiten herbei. Ishigami würde so etwas Idiotisches nie tun. Auf der anderen Seite würde er jedoch die schlimmsten
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