Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
war er bereit preiszugeben? Bei ihrem letzten Telefonat hatte Yasuko ihm etwas Sonderbares erzählt. Yukawa hatte sie gefragt, was sie von Ishigami halte. Es schien, als wüsste er von Ishigamis Gefühlen für Yasuko. Er versuchte, sich an seine Gespräche mit Yukawa zu erinnern, aber ihm fiel keine einzige Bemerkung oder Geste ein, mit denen er seine Zuneigung zu Yasuko vielleicht verraten haben könnte. Wie hatte der Physikprofessor doch etwas davon bemerkt?
Ishigami machte sich wieder auf den Weg ins Lehrerzimmer. Unterwegs im Flur begegnete er dem Sekretariatsangestellten.
»Ist der Kommissar schon weg?«
»Ja, gerade gegangen.«
»Gehen Sie jetzt doch nicht nach Hause, Herr Ishigami?«
»Nein, mir ist noch etwas eingefallen.«
Ishigami ließ den Mann stehen, der offensichtlich vor Neugier fast platzte, und eilte ins Lehrerzimmer. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und zog einen Karton mit Akten hervor.Sie hatten nichts mit seinem Unterricht zu tun, sondern waren Teil der Ergebnisse von Forschungen, die er in den letzten Jahren zu einem besonders komplizierten mathematischen Problem durchgeführt hatte. Nachdem er sie in seiner Tasche verstaut hatte, verließ er das Lehrerzimmer.
»Wie oft muss ich das eigentlich noch sagen? ›Untersuchen‹ heißt ›unter etwas suchen‹. Es ist zu einfach, ein Experiment gelten zu lassen, nur weil es das erwartete Ergebnis erbracht hat. Außerdem ist gar nicht alles erwartungsgemäß verlaufen. Ich will, dass Sie Experimente durchführen, um selbst etwas zu entdecken. Das nächste Mal denken Sie ein bisschen besser nach, was Sie schreiben.«
Es kam nicht oft vor, dass Yukawa so gereizt war. Kopfschüttelnd gab er einem Studenten, der betreten vor ihm stand, seine Arbeit zurück. Der junge Mann verbeugte sich und verließ fluchtartig den Raum.
»Sieh mal an, sogar du ärgerst dich mal«, sagte Kusanagi.
»Ich ärgere mich nicht. Er nimmt sein Studium zu leicht, also habe ich ihn ein bisschen zurechtgestutzt.« Yukawa stand auf und machte sich einen Becher Instantkaffee. »Hast du etwas Neues herausgefunden?«
»Ich bin Ishigamis Alibi nachgegangen. Ich war bei ihm und habe ihn befragt.«
»Ein Frontalangriff also.« Yukawa stand am Waschbecken und drehte sich mit dem Becher in der Hand um. »Wie hat er reagiert?«
»Er sagt, er sei den ganzen Abend zu Hause gewesen.«
Yukawa schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. »Ich habe gefragt, wie er reagiert hat, nicht was er geantwortet hat.«
»Er wirkte nicht besonders aufgeregt, wenn du das meinst.Aber er wusste schon vorher, dass ich da war, und hatte Zeit, sich darauf einzustellen.«
»War er verwundert, dass du ihn nach seinem Alibi fragst?«
»Nein, ich glaube nicht, er hat auch nicht nach dem Grund gefragt. Allerdings bin ich auch nicht allzu direkt vorgegangen.«
»Typisch. Wahrscheinlich hat er ohnehin damit gerechnet, dass er irgendwann nach seinem Alibi gefragt wird«, sagte Yukawa wie zu sich selbst und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Er sagt also, er sei den ganzen Abend zu Hause gewesen?«
»Angeblich hatte er Fieber, weshalb er auch am nächsten Morgen nicht in der Schule war.« Kusanagi legte Ishigamis Arbeitsplan auf den Tisch.
Yukawa setzte sich und griff danach.
»Am Morgen darauf … aha.«
»Vielleicht musste er nach dem Mord Spuren beseitigen und war deshalb nicht in der Schule.«
»Was ist mit der Bento-Verkäuferin? Wo war sie an dem Morgen?«
»Das haben wir sofort überprüft. Am 11. März war Yasuko Hanaoka wie immer an ihrem Arbeitsplatz. Und wenn wir schon dabei sind, die Tochter war in der Schule. Keine von beiden hat sich auch nur verspätet.«
Yukawa legte den Plan auf den Tisch und verschränkte die Arme. »Du sagst, er musste vielleicht Spuren beseitigen. Was genau meinst du damit?«
»Das Kabel verschwinden lassen, zum Beispiel.«
»Aber dazu braucht man doch nicht über zehn Stunden.«
»Wieso über zehn Stunden?«
»Der Mord geschah am Abend des 10. März. Wenn er sicham nächsten Morgen freinehmen musste, hätte er über zehn Stunden gebraucht, um Spuren zu beseitigen.«
»Er musste ja auch schlafen.«
»Kein Mensch legt sich seelenruhig ins Bett, bevor er die Spuren seines Mordes beseitigt hat. Und wenn er deshalb keine Zeit zum Schlafen hat, dann hat er eben keine. Er wäre auch zur Arbeit gegangen, ganz gleich, wie schwer es ihm gefallen wäre.«
»Dann muss es einen anderen Grund gegeben haben, aus dem er unbedingt freinehmen musste.«
»Genau
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