Verdächtige Geliebte: Roman (German Edition)
unmöglich, uns von der Uhr zu befreien. Wir beide sind zu sehr Rädchen im Getriebe der Gesellschaft. Wenn man das Zahnrad entfernt, spielt die Uhr verrückt. So gern wir auch daran drehen möchten, unsere Umgebung lässt uns nicht. Zugleich gibt uns dieses Getriebe eine gewisse Sicherheit, macht uns aber auch unfrei. Viele Obdachlose wollen ja angeblich gar nicht in ihr altes Leben zurück.«
»Wenn du dich weiter in solchen Phrasen ergehst, sind deine drei Minuten um.« Ishigami sah auf die Uhr. »Du hast nur noch eine Minute.«
»Ich wollte dir nur sagen, dass es auf der Welt kein nutzloses Zahnrad gibt. Und letztlich bestimmt auch jedes Zahnrad über seinen eigenen Nutzen.« Yukawa sah Ishigami ins Gesicht. »Wirst du an der Schule aufhören?«
Ishigami blickte ihn erstaunt an. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ich hatte den Eindruck. Wahrscheinlich weil ich mir nicht vorstellen kann, dass du dich als ein Zahnrad mit der Bezeichnung›Mathematiklehrer‹ siehst.« Yukawa erhob sich von der Bank. »Gehen wir?«
Die beiden schritten nebeneinander am Fluss entlang. Ishigami wartete, dass sein alter Studienkollege etwas sagte.
»Ich habe gehört, Kusanagi war wieder bei dir. Er hat dich nach deinem Alibi gefragt, oder?«
»Ja, letzte Woche.«
»Er verdächtigt dich.«
»Anscheinend. Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wieso.«
Yukawa schmunzelte. »Offen gesagt, weiß er es, glaube ich, selbst nicht so genau. Er interessiert sich vor allem für dich, weil er sieht, dass ich es tue. Wahrscheinlich sollte ich dir das nicht sagen, aber die Polizei hat nicht den geringsten Anlass, dich zu verdächtigen.«
Ishigami blieb stehen. »Und warum sagst du es mir dann?« Yukawa hielt ebenfalls inne und sah Ishigami an.
»Weil wir Freunde sind. Aus keinem anderen Grund.«
»Deshalb glaubst du, du musst mir das sagen? Wieso? Ich habe mit dem Mord nichts zu tun. Es kann mir völlig egal sein, ob die Polizei mich verdächtigt oder nicht.«
Er hörte, dass Yukawa tief und anhaltend seufzte. Dann schüttelte er leicht den Kopf. Die Traurigkeit in seinem Gesicht beunruhigte Ishigami.
»Ich weiß, dass das Alibi keine Rolle spielt«, sagte Yukawa ruhig.
»Wie bitte?«
»Kusanagi und seine Leute sind wie besessen davon, Yasuko Hanaokas Alibi zu knacken. Sie glauben, wenn es ihnen gelingt, es zu zerpflücken, werden sie am Ende die Wahrheit herausfinden. Vorausgesetzt, sie hat ihren Mann wirklich getötet,natürlich. Und solltest du ihr Komplize gewesen sein, brauchen sie sich dann nur noch dein Alibi vorzunehmen.«
»Ja und? Was ist daran so erwähnenswert?«, sagte Ishigami. »Darin besteht doch die Arbeit der Polizei. Falls sie die Mörderin wäre.«
Yukawa schmunzelte. »Kusanagi hat etwas Interessantes gesagt. Über die Art, wie du deine Klassenarbeiten erstellst. Du machst dir die Blindheit zunutze, die durch vorgefasste Überzeugungen entsteht. Schüler, die es gewöhnt sind, ihre Aufgaben strikt nach dem Lehrbuch zu lösen, ohne das mathematische Prinzip dahinter verstanden zu haben, tappen in die Falle. Sie versuchen eine Aufgabe, die auf den ersten Blick wie ein geometrisches Problem erscheint, entsprechend zu lösen, aber das funktioniert nicht. Schließlich läuft ihnen die Zeit davon. Manche würde deine Vorgehensweise vielleicht als unfair bezeichnen, aber sie ist eine äußerst wirksame Methode, die wahren Fähigkeiten der Schüler zu prüfen.«
»Und was willst du damit sagen?«
»Kusanagi und seine Kollegen glauben, ihre Aufgabe bestünde darin, ein Alibi zu knacken. Da ihre Hauptverdächtige eins hat, ist das ja auch natürlich. Hinzu kommt, dass es nicht ganz wasserdicht ist. Sie wollen also den Schwachpunkt finden und dort ansetzen. In der Wissenschaft geht es uns ja manchmal genauso. Wir folgen hartnäckig einer Spur und liegen die ganze Zeit völlig daneben. Die Polizei ist in die gleiche Falle getappt. Sie sitzt sogar ziemlich tief drin, könnte man sagen.«
»Du solltest deine Zweifel an der Strategie der Ermittlungen lieber mit Kommissar Kusanagi besprechen als mit mir.«
»Irgendwann werde ich wohl nicht mehr darum herumkommen.Dennoch wollte ich zuerst mit dir sprechen. Aus dem eben genannten Grund.«
»Weil wir Freunde sind.«
»Ja, und weil ich nicht will, dass dein Genie vergeudet wird. Ich möchte all diese störenden Dinge aus dem Weg räumen, damit du dich auf deine Forschung konzentrieren kannst. Ich will nicht, dass ein brillanter Kopf wie du seine Zeit verschwendet.«
»Das
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