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Verdammnis

Verdammnis

Titel: Verdammnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stieg Larsson
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sichtlich gealtert und wirkte ungepflegt.
    Nach dem Geruch im Zimmer zu urteilen, schien er auch seine persönliche Hygiene zu vernachlässigen.
    Doch Lisbeth empfand keine Spur Mitleid. Eine Sekunde blitzte der gnadenlose Hass in ihren Augen auf. Sie bemerkte ein Glas auf dem Nachttisch und beugte sich hinunter, um daran zu riechen. Schnaps.
    Schließlich verließ sie das Schlafzimmer, drehte eine kleine Runde durch die Küche, wo ihr nichts Bemerkenswertes auffiel, ging dann durchs Wohnzimmer und blieb an der Tür zum Arbeitszimmer stehen. Sie steckte die Hand in die Jackentasche und holte ein paar Brösel Knäckebrot heraus, die sie im Dunkeln vorsichtig auf dem Parkett auslegte. Sollte sich jemand durchs Wohnzimmer anschleichen, würde sie durch das Knirschen gewarnt werden.
    Sie setzte sich an Bjurmans Schreibtisch und legte die Elektroschockpistole griffbereit vor sich hin. Dann begann sie, systematisch seine Schubladen zu durchsuchen. Sie ging die Korrespondenz durch, die seine privaten Finanzen betraf. Obwohl er sichtlich schlampiger und sporadischer arbeitete als früher, stieß sie auf nichts wirklich Interessantes.
    Die unterste Schublade war abgeschlossen. Lisbeth Salander runzelte die Stirn. Bei ihrem Besuch vor einem Jahr waren alle Schubladen unverschlossen gewesen. Sie blickte ins Leere, während sie sich an den Inhalt der verschlossenen Schublade erinnerte. Darin hatte eine Kamera gelegen, ein Teleobjektiv, ein kleines Olympus-Diktiergerät, ein in Leder gebundenes Fotoalbum sowie eine kleine Schachtel mit einer Kette, Schmuck und einem Goldring, in den Tilda und Jacob Bjurman - 23. April 1951 eingraviert war. Lisbeth wusste, dass es die Namen seiner Eltern waren, die beide nicht mehr lebten. Sie nahm an, dass es ein Trauring war, den er zur Erinnerung aufbewahrte.
    Er schließt also Sachen ein, die für ihn wertvoll sind.
    Sie wandte sich dem Schrank hinter dem Schreibtisch zu, aus dem sie zwei Ordner zog, die seine Aufgaben als ihr Betreuer betrafen. Fünfzehn Minuten lang ging sie Seite für Seite sorgfältig durch. Die Berichte waren untadelig und suggerierten, dass Lisbeth Salander ein nettes und pflichtbewusstes Mädchen war. Vor vier Monaten hatte er zu verstehen gegeben, dass sie in seinen Augen so vernünftig wirke, dass man die Betreuung im nächsten Jahr möglicherweise aufheben könne.
    Der Ordner enthielt sogar handschriftliche Notizen, die zeigten, dass Ulrika von Liebenstaahl vom Vormundschaftsgericht Kontakt mit Bjurman aufgenommen hatte, um ein generelles Gespräch über Lisbeths Allgemeinzustand zu führen. Die Worte »psychiatrisches Gutachten« waren unterstrichen.
    Lisbeth schürzte die Lippen, stellte die Ordner zurück und sah sich um.
    Bei oberflächlicher Betrachtung fiel ihr nichts ins Auge. Bjurman schien sich genauestens an ihre Anweisungen zu halten. Sie biss sich auf die Unterlippe. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmte.
    Gerade war sie vom Stuhl aufgestanden und wollte die Schreibtischlampe ausknipsen, da hielt sie plötzlich inne. Sie zog die Ordner noch einmal hervor und blätterte sie abermals durch. Verblüfft.
    In diesen Ordnern fehlte etwas. Vor einem Jahr war eine Zusammenfassung des Vormundschaftsgerichts über ihre Entwicklung seit der Kindheit dabei gewesen. Die fehlte. Warum sollte Bjurman Papiere aus einem aktuellen Vorgang entfernen? Sie runzelte die Stirn. Ihr wollte kein plausibler Grund einfallen. Es sei denn, er sammelte woanders auch noch Unterlagen. Ihr Blick schweifte über das Regal mit der Jalousie und blieb noch einmal an der untersten Schreibtischschublade hängen.
    Sie hatte keinen Dietrich dabei, also schlich sie sich noch einmal in Bjurmans Schlafzimmer und angelte seinen Schlüsselbund aus der Jacke, die über einem Garderobenständer aus Holz hing. In der Schublade fand sie zunächst dieselben Gegenstände wie letztes Jahr. Die Sammlung war jedoch um einen flachen Karton ergänzt worden, auf dessen Deckel ein Colt 45 Magnum abgebildet war.
    Sie dachte an die Recherchen, die sie vor knapp zwei Jahren zu Bjurman angestellt hatte. Er war Hobbyschütze und Mitglied in einem Schützenverein. Laut öffentlichem Waffenregister hatte er eine Lizenz für einen Colt 45 Magnum.
    Widerwillig kam sie zu dem Schluss, dass es nicht außergewöhnlich war, wenn er diese Schublade abschloss.
    Das Ganze gefiel ihr nicht, aber sie konnte leider keinen unmittelbaren Anlass entdecken, Bjurman zu wecken und ihm einen Denkzettel zu

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