Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verdammt feurig

Verdammt feurig

Titel: Verdammt feurig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
nicht umbringen. Ich muss nur so werden wie vorher, das ist alles«, erwiderte er bitter und strich sich nachdenklich über seine Haut. »Ich will das alles gar nicht mehr loswerden … ich mag meinen Körper …«
    »Vielleicht stirbst du dabei, Leander, wir Menschen sterben ohne unsere Körper, und wer sagt dir, dass es bei dir anders ist? Bleib hier!«
    »Nein, Luzie. Ich muss gehorchen, und ja, vielleicht geht es nicht gut aus. Aber ich muss. Ich bin ein Wächter. Ich bin kein Mensch.«
    »Es ist zu gefährlich!! Leander, nicht!«
    Doch er war schon auf die Fensterbank gesprungen.
    »Seit wann findest du etwas gefährlich, Luzie?« Er grinste mich schief an. Seine Husykaugen leuchteten in der Dunkelheit auf. Dann erstarb sein Grinsen. »Pass auf dich auf, chérie. Und denk an dein Versprechen.«
    Er sprang ab. Aber das durfte er nicht – er konnte nicht abspringen, wenn er so nah bei mir war. Bisher war er immer auf dem Dach ein paar Meter nach rechts gekrochen und erst dann abgesprungen, als er sich sicher war, keinen Körper mehr zu haben. Aber jetzt hatte er sich nach links bewegt. Ich eilte zum Fenster und lehnte mich weit raus. Leander war schon oben auf dem Nachbardach. Geschmeidig rannte er den schmalen Dachfirst entlang, setzte mit einem Salto auf das Flachdach dahinter über, hievte sich über den Schornstein, sprang in den Himmel, wurde transparent, ein blauer Schimmer, ein helles, sanftes Flirren – und dann – unsichtbar.
    »Das gibt es nicht«, flüsterte ich und meine Tränen tropften auf die kalte Fensterbank. »Du hast Parkour gemacht. Du Mistkerl! Das war Parkour! Das hast du mir abgeguckt!«
    Und er würde nie wieder einen Körper haben. Das war sein einziger und letzter Run gewesen. Ich schloss das Fenster, legte mich auf mein Bett und zog die Decke über meinen Kopf. Ja, ich weinte nicht oft, aber wenn, dann richtig. Jetzt war so ein Moment.
    Leander hatte mich nie verstehen können und das hatte mich manchmal fast die Wände hochgehen lassen. Jetzt wusste ich, warum. Seine Eltern, seine Schwestern – das war wirklich eine Truppe und keine Familie. Es ging nur um Pflichten und Befehle und Gehorchen. Es war ihnen völlig egal, was sie fühlten. Ach, wahrscheinlich konnten sie gar nichts fühlen, und deshalb wusste Leander auch nie, was ich gefühlt hatte. Menschein nannten sie es. Wächter durften nicht menschein. Sie mussten funktionieren.
    Aber was war das gewesen, wenn er sang? Er hatte so gerne gesungen, so gerne seine Menschenstimme benutzt. Jemand, der nichts fühlte, sang doch nicht. Und seine Angst vor Nikoläusen? Die Tränen in der Kirche? Seine Umarmung gestern Nacht? Alles Zufälle?
    Zum ersten Mal in meinem Leben heulte ich mich in den Schlaf, und erst als Seppo mich in meinen Träumen abholte und fest an sich drückte, wurde mir ein wenig leichter ums Herz.

Mogwai
    Es war noch dunkel, als mich ein dünnes Winseln aus meinem unruhigen Halbschlaf aufschrecken ließ.
    Ich hatte die ganze Nacht gefroren und dagegen half auch die Fleecedecke nicht, die ich mir im Morgengrauen aus dem Wohnzimmer geholt und um meinen Bauch gewickelt hatte. Die Minuten und Stunden verstrichen so langsam, als wollte der Tag niemals kommen; ab und zu schlief ich fest ein, aber immer nur für kurze Zeit, und dann rasten die Gedanken wieder durch meinen Kopf. Zwischendurch war ich mir sicher, dass jemand im Raum war, ja, dass ich etwas gehört hatte, direkt neben mir, doch ich war trotz meiner Unruhe nicht wach genug gewesen, um nachzusehen oder gar das Licht anzuschalten.
    Jetzt aber war ich wach und ich hatte ein Winseln gehört. Ein hohes, fiependes, jämmerliches Winseln. Es kam von unten. Ziemlich dicht unter mir. Wer oder was immer da auch winselte: Es befand sich unter meinem Bett.
    Leander?, fragte ich mich. Nein. Nein, Leander hatte zwar immer viel geklagt und gejammert, aber er winselte nicht. Und seine Familie hätte nie und nimmer zugelassen, dass er zu mir zurückkehrte. Da war es wieder – dieses Mal endete es in einem leisen, hohlen Knurren. Außerdem roch es plötzlich durchdringend nach Pipi. Ich rümpfte die Nase und schob meinen Kopf über die Bettkante. Ein gelbes Rinnsal sickerte unter meinem Bett hervor über die Bodendielen und wurde von meinem Flickenteppich, der zerknüllt neben der Heizung lag, aufgesogen.
    Nun gab es keinen Zweifel mehr. Das Winseln konnte unmöglich von Leander stammen und ich war beinahe enttäuscht darüber. Aber alles, was auch nur entfernt mit

Weitere Kostenlose Bücher