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Verdammt wenig Leben

Verdammt wenig Leben

Titel: Verdammt wenig Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Alonso , Javier Pelegrin
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sich dagegen sträubte, sich hinzugeben.
    Warum war sie diesmal so anders gewesen?
    Vielleicht hatte es etwas mit Minerva zu tun. Eigentlich konnte Alice nichts wissen, aber sie kannte viele Leute und war nicht auf den Kopf gefallen. Hatte sie etwa von Minervas Verschwinden erfahren und brachte es irgendwie mit ihm in Verbindung?
    Ahnte sie, dass er ihr etwas verheimlichte?
    Er hoffte er, dass es nicht so war. Das wäre für alle besser.







8
    Die Allen-Schwestern wohnten in einem düsteren Apartment voller billiger Möbel und holografischer Bilder an den Wänden. Kaum hatte er es betreten, stach ihm ein schwerer Geruch in die Nase, eine Mischung aus ranzigem Bratfett und einem Hauch von teurem Parfum. Die Rollläden waren nur halb hochgezogen, die Räume dunkel. Jason durchquerte sie zögernd, bis er im Wohnzimmer stand, einem trapezförmigen Raum mit einer Couchgarnitur aus rotem Samt und einer Vitrine mit einem Teeservice aus Porzellan. Auf einer Anrichte gegenüber dem Fenster stand ein Glas voller weißer, leicht phosphoreszierender Schmetterlinge. Angewidert wandte Jason den Blick ab. Solche Insektarien waren in letzter Zeit sehr in Mode gekommen, aber er hatte nie eins haben wollen. Darin ging es ihm wie Minerva: Er fand sie abstoßend. Sie hatte es geschafft, sie aus allen Sendungen zu verbannen, für die sie schrieb; als Begründung pflegte sie zu sagen, sie seien ein Zeichen für schlechten Geschmack.



Bevor Jason sich daranmachte, den Schlafzimmerschrank zu durchsuchen, wollte er sich eine Verschnaufpause gönnen. Er ließ sich in einen der roten Polstersessel sinken und schloss die Augen. Er versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, hier zu wohnen, in diesem tristen, beunruhigenden Heim, dessen Bewohner wie aus einem zwanghaften Schutzbedürfnis heraus jede Menge Sachen angesammelt hatten. An so einem Ort, so voller Angst und Einsamkeit, konnte niemand glücklich sein.
    Schließlich stand er auf und schüttelte diesen unguten Eindruck ab. Er konnte sich Zeit lassen, das wusste er, denn die beiden Schwestern gingen jeden Tag von zehn bis zwölf zur Familientherapie und jetzt war es erst halb elf. Trotzdem sollte er lieber nicht trödeln. Je eher die Sache erledigt war, desto besser.
    Genau in diesem Moment spürte er das Telefon in seiner Tasche vibrieren. Er zog es hastig heraus, als wäre in dem Apartment noch jemand anderes, der das leise Brummen hören konnte.
    Es war kein Anruf, sondern wieder eine Bilddatei von Minerva. Jason starrte mehrere Sekunden lang verblüfft auf das Display. Darauf war ein Bund mit Schlüsseln zu sehen, wie man sie früher benutzt hatte, jeder mit einer anderen, unverwechselbaren Zahnung, nur waren sie transparent. So einen Schlüssel hatte er noch nie in der Hand gehabt, die gab es nur noch im Museum … Angeblich kamen sie in letzter Zeit aber an hoch gesicherten Orten wieder zum Einsatz, weil es offenbar weitaus schwieriger war, so einen Schlüssel nachzumachen, als die üblichen Systeme für Iris- oder Fingerabdruckerkennung zu knacken.
    Jason schaute sich um. Wenn Minerva ihm dieses Bild geschickt hatte, hieß das, er sollte im Apartment der Allen-Schwestern nach solchen Schlüsseln suchen. Sie wusste also, wo er sich gerade aufhielt, und lenkte weiterhin seine Schritte, wenn auch aus der Ferne und ohne Worte. Aber warum eigentlich ohne Worte? Warum konnte sie sich nicht deutlicher ausdrücken und ihm klipp und klar mitteilen, was er tun sollte?
    Die Antwort durchzuckte ihn wie ein Blitz. Plötzlich war ihm alles klar. Minerva kommunizierte nicht mit Worten, weil Worte leicht zu entschlüsseln waren. Am Himmel schwirrten Millionen von Mikrozellen herum, die sämtliche Nachrichten automatisch abfingen und lasen. Die Überwachung durch diese kleinen Roboter konnte man nur umgehen, indem man einen Code benutzte, dessen Bedeutung sie nicht erfassen konnten, eine symbolische Ausdrucksweise, die nur in einem bestimmten Kontext verständlich war. Genau das tat Minerva: Sie schickte ihm Skripte, die nur er entschlüsseln konnte, Bilder, die nur im Zusammenhang mit seinen heimlichen Streifzügen Sinn ergaben.
    Jason steckte das Telefon wieder in die Tasche und beschloss zu handeln. Er betrat das Schlafzimmer der Schwestern, ging an den beiden großen Betten mit den gehäkelten Tagesdecken vorbei und machte den Schrank auf. Er wusste, wo er suchen musste. Da lag exakt zusammengefaltet Rebeccas Superheldinnenkostüm. Er griff zwischen die Stofflagen und zog den kleinen

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