Verdammt wenig Leben
sie dieses Präparat«, erklärte sie. »Wie du siehst, ist die Verpackung identisch. Das Etikett ist dasselbe. Woher soll man wissen, welches die echten Kapseln sind? Falls überhaupt welche echt sind.«
»Fest steht jedenfalls, dass sich Rebeccas Zustand nicht gebessert hat. Im Gegenteil, mit deinen Tabletten hatte sie mehr Anfälle und ist aggressiver. Ich habe die letzten Folgen gesehen, es geht ihr eindeutig schlechter.«
»Ihr Arzt sagt, die Krankheit sei in eine neue Phase getreten. Deshalb hat sie ein anderes Medikament bekommen.«
»Oder vielleicht hat die neue Phase begonnen, nachdem sie die Medizin gewechselt hat. Überleg es dir gut, Susanna. Die Entscheidung liegt bei dir.«
Susanna sah ihn einige Sekunden lang unschlüssig an. Dann gab sie ihm mit einer brüsken Bewegung das Fläschchen, das sie gerade aus dem Küchenschrank genommen hatte.
»Einverstanden, ich gehe das Risiko ein«, sagte sie. »Lass du das hier verschwinden. Wenn sie merken, dass ich zwei Fläschchen habe, könnte ich Ärger bekommen. Warte mal, was ist denn das?«
Als sie das neue Fläschchen in den Schrank stellen wollte, war sie mit der Hand an etwas gestoßen, das sie stutzig machte. Sie betastete den Gegenstand kurz und zog ihn dann heraus.
Es waren Schlüssel. Genau solche Sicherheitsschlüssel wie auf dem Bild, das Minerva geschickt hatte.
»Wer hat die denn hier hingelegt?«, fragte Susanna verwirrt. »Diese Schlüssel habe ich noch nie gesehen.«
»Gib sie mir«, bat Jason. »Ich glaube, jemand hat sie für mich in diesem Schrank deponiert.«
Skeptisch hob Susanna die Augenbrauen. »So, so«, sagte sie. »Wahrscheinlich dieselbe Person, die dir den Tipp gegeben hat.«
»Genau.«
Sie händigte ihm die Schlüssel aus und beobachtete mit einem schiefen Lächeln, wie er sie im Rucksack verstaute.
»Ich glaub dir kein Wort«, stieß sie plötzlich hervor. Ihr Lächeln war wie weggewischt. »Du benutzt mich nur, genau wie alle anderen! Aber weißt du was? Es ist mir egal. Von all dem, was du gesagt hast, ergibt nur eins Sinn: Sie wollen mich aus dem Weg räumen. Vielleicht haben sie dich geschickt, um mich zu warnen, vielleicht aber auch, um mir eine Falle zu stellen. Ganz ehrlich, nicht mal das interessiert mich. Wenn du es nicht tust, macht es ein anderer. Wenn es kein Dolch ist, der sein Ziel von alleine findet, wird es ein ›zufälliger‹ Sturz aus dem Fenster oder eine Vergiftung sein. Sie werden mich verschwinden lassen, sobald es ihnen in den Kram passt, und ich werde sie nicht daran hindern können.«
»Gib nicht auf«, sagte Jason. »Du wirst schon einen Ausweg finden. Es muss einen geben.«
Ihr Mund verzog sich wieder zu einem bitteren Lächeln.
»Aber sicher. Und du hilfst mir, ihn zu finden?«
Jason sah sie zweifelnd an.
»Das würde ich gern«, sagte er. »Aber ich wüsste gar nicht, wie. Meine Hilfe würde dir nicht viel nützen.«
Er zögerte einen Moment und steuerte dann nach einer vagen Abschiedsgeste unsicher auf die Wohnungstür zu.
»Wenn diese Tabletten wirklich helfen, bekommen wir Probleme«, sagte Susanna, die ihm folgte. »Ohne Rebeccas Krankheit wird sich niemand mehr für uns interessieren. Und du wirst auch Ärger kriegen, wenn herauskommt, was du getan hast.«
Jason drehte sich um, die Hand schon auf der Türklinke.
»Du wirst es ihnen doch nicht sagen, oder? Kann ich auf deine Diskretion zählen?«
Sie nickte, diesmal ernst.
»Aber sie werden es ohnehin erfahren«, sagte sie bedrückt. »Wenn sie es nicht schon längst wissen. Sie haben ihre Augen und Ohren überall. Sie kontrollieren alles.«
»Wen meinst du denn?«, fragte Jason.
Er stand bereits draußen im kühlen Treppenhaus, dessen Wände mit grünem Samt verkleidet waren.
»Wen ich meine?«, wiederholte Susanna flüsternd. »Diejenigen, die nie in den Medien auftauchen. Die Drahtzieher. Die ›Unsichtbaren‹ … Und frag mich nicht, wie sie aussehen, das weiß ich nämlich nicht.«
9
Als Jason nach Hause kam, zog er sich aus und stellte sich unter die Dusche. Die düstere, gedrückte Stimmung im Apartment der Allen-Schwestern hatte ein schmieriges Gefühl in ihm hinterlassen, von dem er nicht wusste, wie er es wieder loswerden sollte. Unter dem Strahl der Massagedüsen schloss er die Augen und ließ sich das Wasser wie glühende Nägel auf Kopf und Hals prasseln.
Er wollte nicht nachdenken. Er wünschte sich nur, er könnte die Erinnerungen der letzten Tage einfach abwaschen. Das Bild Minervas (der wahren
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