Verdammt wenig Leben
automatischen Dolch heraus, den jemand dort für Rebecca deponiert hatte. Dann suchte er weiter, bis er das Minidisplay fand, auf dem sie dazu angestachelt wurde, ihre Schwester anzugreifen. Jason zog einen Deprogrammierstift heraus und löschte es.
Er holte tief Luft. Jetzt musste er nur noch in die Küche gehen und das Fläschchen mit Rebeccas Medikament austauschen. Bevor er eintrat, lauschte er an der Tür, ob drinnen ein Hausroboter arbeitete.
Aber das Geräusch, das er hörte, kam nicht aus der Küche, sondern von der Wohnungstür.
Er blieb an die Wand gedrückt stehen und lauschte. Durch den Flur kamen Schritte näher, ungleichmäßige, schleppende Frauenschritte. Ehe er sich verstecken konnte, stand Susanna Allen vor ihm. Als sie ihn entdeckte, stieß sie einen erstickten Schrei aus und schlug sich die Hände vor den Mund.
Jason bewegte sich nicht, um sie nicht noch mehr zu erschrecken.
»Bleib ganz ruhig«, sagte er sanft. »Ich bin kein Einbrecher. Ich will dir nichts tun.«
Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und erkannte ihn offenbar.
»Jason Mitford«, sagte sie überrascht. »Meine Schwester liebt deine Sendung. Neulich hat sie sich ziemlich geärgert, als du Clarissa mit deiner früheren Freundin betrogen hast. Zum Glück ist sie nicht mitgekommen. Ich weiß nicht, wie sie auf dich reagieren würde.«
»Können wir bitte reden?«, fragte Jason, während er sich besorgt umschaute. »Das hier wird doch nicht aufgezeichnet, oder?«
»Keine Angst. Ich werde nur gefilmt, wenn ich Stress mit Rebecca habe. Mein restliches Leben interessiert niemanden«, erklärte sie lächelnd. »Was machst du hier?«
»Das … das hat nichts mit meiner Sendung zu tun«, stammelte Jason. »Es ist ein Privatbesuch. Und ich muss dich bitten, niemandem davon zu erzählen.«
»Was willst du?«, fiel Susanna ihm unsanft ins Wort. »Ich finde das ziemlich merkwürdig, Jason. Wenn du uns kennenlernen wolltest, hättest du anrufen und dich mit uns verabreden können. Du bist mit deiner VIP-Card hereingekommen, oder? Ich finde es ehrlich gesagt unmoralisch, dass du dir damit ohne Erlaubnis Zutritt zu einer Wohnung verschaffst!«
»Oh, dass es die VIP-Cards überhaupt gibt, ist unmoralisch«, entgegnete Jason leichthin. »Aber wenn ich dir erkläre, warum ich hier bin, wirst du mir dankbar sein.«
»Ach ja?« Susannas Augenbrauen hoben sich. »Hör mal, Jason, nimm’s mir nicht übel, aber wenn du meinst, dein Besuch wäre eine Ehre für uns, irrst du dich. Weder meine Schwester noch ich haben Zeit für Liebesaffären. Unser Drehbuchautor hat dieses Thema auf unbegrenzte Zeit aus unserem Leben gestrichen. Die Leute mögen es nicht, wenn wir glücklich sind. Ihnen gefällt unsere Tragödie – die Tragödie meiner Schwester … Nur das hat uns so populär gemacht.«
»Genau darüber wollte ich mit dir reden«, unterbrach Jason sie hastig. »Ich glaube, dass man diese Tragödie beenden kann. Deine Schwester kann gesund werden, Susanna. Du musst ihr nur das richtige Medikament geben.«
Er verstummte, als er ihre gerunzelte Stirn sah.
»Rebecca bekommt bereits das richtige Medikament«, sagte sie ungnädig. »Wenn ich dieses ganze Theater mitmache, dann bloß, damit ich ihre Tabletten bezahlen kann. Sie sind wahnsinnig teuer, weißt du? Fast alles, was wir mit der Sendung verdienen, geht für die Behandlung meiner Schwester drauf. Das ist also nicht gerade ein Thema, über das ich gern Witze mache.«
»Man hat euch hereingelegt, Susanna«, flüsterte Jason und sah misstrauisch zur Decke, ob nicht doch irgendwo eine Mikrokamera lief. »Die Tabletten, die du deiner Schwester gibst, machen sie nicht gesund, sondern immer kränker. Ich habe die richtigen, die ihr wirklich helfen können. Hier.«
Susanna nahm das Fläschchen, das Jason ihr hinhielt, und sah es sekundenlang mit ausdruckslosen Augen an. Es war, als könnte sie nicht so schnell verarbeiten, was Jason ihr gerade mitgeteilt hatte. Sie wirkte völlig abwesend.
»Das kann nicht sein«, hörte er sie schließlich sagen. »Das würden sie nicht tun. Niemand würde das tun. Es wäre zu grausam.«
»Wer ist euer Drehbuchautor?«, fragte Jason sanft.
Susanna sah ihn mit leeren Augen an, bevor sie antwortete.
»Fuentes. Joseph Fuentes. Er ist wie ein Vater zu uns, besser als unser eigener.«
»Vielleicht weiß er gar nicht Bescheid. Ich habe allmählich den Verdacht, dass die Produzenten manchmal sogar ihre Drehbuchautoren austricksen.«
Susannas Blick
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