Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
Königgrätzer Straße entlang. Das Februarwetter mit Regen, Schneeschauern und Kälte paßt zu seiner Stimmung, traurig, zornig, gleichgültig in raschem Wechsel.
» O Verzeihung!« Jetzt hätte er fast eine Frau über den Haufen gerannt.
» Passense doch auf! Blind und denn noch im Galopp!«
London, Kew Gardens, 20. Februar 1913, Donnerstag
» Und jetzt? Nach links oder nach rechts?«
» Ich glaube, nach links«, flüstert Lillie, » da sollten wir auf den breiten Weg kommen.«
» Na, dann los«, fordert Olive, » wir müssen dort sein, bevor es hell wird.«
Vivian sagt nichts und vergräbt die Hände in den Manteltaschen. Ihr ist kalt, und es ist unheimlich hier. Es ist noch dunkel, und der kaum erkennbare Weg verliert sich schon nach ein paar Metern im dichten Nebel. Der kommt von der Themse, schätzt sie, an der wir vorhin entlanggegangen sind, bis Olive die kleine Pforte in der Mauer gefunden hat, durch die wir hereingekommen sind. Zu dritt schleichen wir hier durch den Botanischen Garten, drei Frauen mit finsteren Absichten. Olive und Lillie, radikale Suffragetten alle beide, und ich. Was die vorhaben, ist der helle Wahnsinn. Ich muß verrückt sein, bei so etwas mitzumachen.
Sie hat Lillie schon Anfang Dezember kennengelernt, auf einer Protestveranstaltung der Women’s Union. Sie haben sich auf Anhieb gut verstanden. Lillie ist zweiundzwanzig, hübsch, frech und ledig. Sie trägt ihr schwarzes Haar offen, es fällt ihr fast bis zur Taille.
Lillie hat ihr dann ihre Freundin Olive vorgestellt. Olive studiert Kunst und Malerei und ist schon siebenundzwanzig. Sie und Lillie waren bei der großen Demonstration im März 1912 dabei und sind verhaftet worden, weil sie Fensterscheiben eingeworfen haben– mit Pflastersteinen, die sie in Papier eingewickelt hatten. Darauf hatten sie geschrieben: Argument of the Broken Pane.
Lillie war dafür zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden, Olive sogar zu sechs. Beide glauben längst nicht mehr, daß sich das Wahlrecht für Frauen mit Petitionen und Bitten durchsetzen läßt.
Vor etwa drei Wochen hat die von Premierminister Herbert Asquith geführte Regierung eine Gesetzesvorlage zur Frauenwahlrechtsreform zurückgezogen, mit der Begründung, es gebe keine Aussicht auf Zustimmung des Parlaments. Nicht lang danach las man von Anschlägen, die von Suffragetten verübt worden sind. So hatten die Frauen am 8. Februar die Telephonverbindung London–Glasgow unterbrochen, indem sie mehrere Leitungsmasten umgesägt und die Kabel zerschnitten hatten.
Vorgestern hatte sie sich mit Lillie und Olive bei Gatti’s getroffen, und die beiden hatten ihr erzählt, sie hätten vor, den Pavillon in Kew Gardens anzuzünden. Der gehöre der Krone, und die beiden Frauen, die ihn gepachtet hätten, müßten eben auch begreifen, daß Krieg sei, weil ihnen die Männer keine andere Wahl ließen. Im übrigen sei der Pavillon bestimmt versichert, die Pächterinnen wolle man ja nicht schädigen. Als Lillie sie fragte, ob sie mitmachen wolle, hatte sie nicht lange überlegt und ja gesagt. Gestern abend haben sie sich bei Olive getroffen und miteinander diskutiert, bis es Zeit war aufzubrechen.
» Wir lassen sie nicht mehr in Ruhe, diese eingebildeten Herren der Schöpfung«, hatte Lillie mit glänzenden Augen gesagt, » denen muß klargemacht werden, daß wir so lange zuschlagen, bis sie uns das Wahlrecht zuerkennen!«
Als sie vorhin an der Kew Bridge Station ausgestiegen sind, ist ihnen die Schlagzeile der Daily Mail -Morgenausgabe in die Augen gesprungen: We Have Blown Up The Chancellor Of The Exchequer’s House To Wake Him Up!
Sie kauften das Blatt und steckten draußen die Köpfe zusammen und lasen den Artikel. Suffragetten, so hieß es, hätten gestern früh am Morgen das neuerbaute, noch nicht bezogene Landhaus des Schatzkanzlers David Lloyd George mit einer Bombe in die Luft gejagt. Menschen seien nicht zu Schaden gekommen, aber das Gebäude sei schwer beschädigt worden. Noch am selben Abend hätte Emmeline Pankhurst in einer Rede die Verantwortung für den Anschlag übernommen und sei deshalb gleich nach der Veranstaltung von der Polizei abgeführt worden.
Wildgewordene Weiber, lautete ein Kommentar, die mit unerhörter Skrupellosigkeit zu den verbrecherischsten Mitteln greifen, um ihre unsinnigen und widernatürlichen Forderungen durchzusetzen.
Vivian kann nicht recht glauben, daß die Zerstörung des Pavillons viel bewirkt, außer daß die Wut auf die Frauenbewegung
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