Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
als zwei Stunden gedauert. Gleich danach war sie dem Polizeirichter vorgeführt worden, der sie nach kurzer Einvernehmung zu vier Wochen Gefängnis verurteilt hatte. Das Urteil war mit ihrem tätlichen Angriff auf William Morgan sowie beleidigenden Äußerungen über seine Person in der Öffentlichkeit begründet worden. Der Scotland-Yard-Inspector hatte versucht, eine Verurteilung wegen Spionage und Teilnahme an Aktionen der Suffragetten zu erreichen, war aber erfolglos geblieben. Unmittelbar nach dem Urteilsspruch war sie ins Frauengefängnis Holloway Prison eingeliefert worden.
Wie auch an den beiden vorangegangenen Tagen rasselten auch heute morgen um sechs die Schlüssel im Schloß. Sie mußte aufstehen, sich anziehen und ihr Bettzeug zusammenlegen, alles unter dem ungeduldigen Blick der Wärterin. Dann antreten mit den anderen Frauen vor der Zellentür und der gemeinsame Marsch hinunter zum Speisesaal. Das Frühstück bestand aus dünnem Tee und Porridge. Es folgte eine Viertelstunde Aufenthalt im Hof, der bei dieser bitteren Kälte kein Vergnügen war. Danach wieder Einschluß. Zu Mittag gab es erneut Tee, Gemüsebrühe und eine Scheibe klebriges Brot.
Hier sitze ich nun, denkt sie, und habe nichts zu tun und nicht einmal etwas zu lesen. Zähflüssig wie Melasse tropft die Zeit dahin. Die Dampfheizung wird nur lauwarm, und sie hat sich in die eklige braune Wolldecke gewickelt, aber sie friert trotzdem. Alles, was sie tun kann, ist, auf das Abendessen zu warten, und das ist auch kein allzu erfreuliches Ereignis. Gestern hat es ein Stück gekochtes Schweinefleisch gegeben, vor dem ihr graute, weil es so fett war, dazu zerkochte Kartoffeln mit Zwiebeln. Und zum Trinken natürlich Tee. Dann zurück in die Zelle. Um zehn Uhr war das Licht abgedreht worden. So wird es jetzt fünfundzwanzig Tage lang weitergehen. Eine Träne rinnt ihr über die Wange, sie wischt sie ärgerlich mit dem Handrücken weg. Ob sie den ganzen Schlamassel Adrian zu verdanken haben, sie und ihr Vater, diesem verdammten Deutschen, auf den sie hereingefallen ist? OGott, sie fühlt sich so schuldig. Keine Nachricht von ihrem Vater, dem es noch schlimmer gehen muss als ihr. Immerhin hat sie an Morgan ihr Mütchen gekühlt, aber er?
London, Cecil Court, 17. Febuar 1913, Montag
Am Morgen um acht Uhr wird sie freigelassen und fährt mit der Tube bis zur Strand Station. Von dort läuft sie nach Hause. Hinter der Ladentür liegen mehrere Briefe. Hastig sieht sie sie durch, aber keiner ist von Adrian. Natürlich nicht. Kann sie ihn denn gar nicht vergessen trotz allem? Alles langweilige Verlagspost, aber ein Brief ist vom Rechtsanwalt ihres Vaters, abgestempelt am 4. Februar. Der Anwalt schreibt, er rechne damit, daß ihr Vater in spätestens vier Wochen aus der Haft entlassen werde. Das wäre Anfang März, wenigstens das ist beruhigend. Auch habe er eine weitere Schadenersatzklage eingereicht.
Die Wohnung ist völlig ausgekühlt. Sie heizt den Kamin an, danach den Badeofen, und setzt Tee auf. Später nimmt sie ein langersehntes, ausgiebiges Bad. Während sie sich anzieht, merkt sie, wie ihr vor Hunger fast schwindlig ist. Es ist aber nichts zu essen da. Also schlüpft sie in den Mantel und geht aus dem Haus. Sie sieht keine Bewacher, und wenn welche da wären, wär’s ihr auch egal. Sollen sie ihr doch nachschleichen. Sie geht schnurstracks zur Charing Cross, wo Emmeline arbeitet. Wenn sie da ist, wird sie gleich Mittagspause haben, dann können sie irgendwo zusammen essen. Danach wird sie das Nötigste einkaufen.
Am Eingang der Lady Couriers stößt sie fast mit ihr zusammen. Arm in Arm gehen sie zu Gatti’s, und auf dem Weg erzählt sie Emmeline, wie sie Morgan einen Skandal gemacht hat und dafür ins Gefängnis gekommen ist, vier lange Wochen.
Emmeline ist fassungslos: » Um Himmels willen! Kind! Dich darf man wirklich keinen Augenblick allein lassen!« Aber sie lacht über die Szene in Simpson’s Tavern. » Also, das hätte ich wirklich gern miterlebt!«
Bei Gatti’s schlägt sich Vivian den Bauch voll mit lang entbehrten Leckerbissen und trinkt drei Tassen heiße Schokolade. Emmeline wartet geduldig, bis sie fertig ist. Dann erzählt sie ihr alles über die Briefe, die die Polizei unterschlagen hat.
Vivian bleibt fast das Herz stehen, als sie das hört. » O Gott«, stöhnt sie, » diese Schweine! Und ich hab gedacht, er will nichts mehr von mir wissen! Ich muß ihm das alles so schnell wie möglich sagen!«
» Weißt du denn, wo du
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