Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
ein Päckchen Visitenkarten, mit denen er sich als dänischer Reporter namens Jens Malte Svenssen ausgeben kann, der für die Zeitung Politiken arbeitet.
Reimers zieht die Vorhänge wieder auf, setzt sich, zündet sich eine Pfeife an und pafft vor sich hin.
Nach einer Weile sagt er: » Was haben Sie eigentlich in London gemacht, bevor wir uns in Portsmouth getroffen haben? Sie waren ja schon eine ganze Woche da, oder?«
» Zehn Tage«, erwidert Seiler. » Ich bin mit Widenmann am dreißigsten Juni von Portsmouth raufgekommen.« Er zuckt die Achseln. » Eigentlich mußte ich nur in der Botschaft herumsitzen. Hab Schreibarbeit für ihn erledigt, Zeitungen und Listen durchgesehen.«
Reimers nickt nachdenklich. » So. Hm. Aber Sie waren ja sicher auch mal draußen, wie?«
» Nicht oft«, sagt Seiler. » Bin natürlich abends ins Hotel. Mittags immer essen gegangen. Ein paarmal hab ich Besorgungen für ihn erledigt, zum Beispiel Buchbestellungen aufgeben, Seekarten abholen, so etwas.« Er denkt an Vivian und die Verabredungen mit ihr, sagt aber nichts.
» Und wo mußten Sie da hin? Zu Williams and Norgate?«
Seiler schüttelt den Kopf. » Nein, in eine kleine Marinefachbuchhandlung im Cecil Court, an der Charing Cross Road. Peterman’s Naval and Maritime Books heißt sie. Warum fragen Sie?«
» Tja«, sagt Reimers, und kneift die Augen zusammen, » ich bin inzwischen ein paarmal an unserer Botschaft vorbeigegangen, und da ist mir aufgefallen, daß sie immer von mindestens einem Detektiv beobachtet wird. Jetzt frage ich mich, ob man Ihnen mal nachgegangen ist und so vielleicht rausgefunden hat, wo Sie untergebracht sind, wohin Sie diese Besorgungen geführt haben und wahrscheinlich auch, wer Sie sind und wie Sie heißen.«
Seiler ist betroffen. » Oh. Glauben Sie, die Polizei war in Edinburgh wegen mir am Bahnhof?«
» Wer weiß?«, sagt Reimers. » Es könnte sein. Vielleicht ist man Ihnen nach Edinburgh gefolgt? Haben Sie nichts bemerkt?«
Seiler schüttelt den Kopf: » Nein. Ich habe allerdings auch nicht darauf geachtet.«
» Nun, Sie sind ja auch neu in diesem Gewerbe«, erklärt Reimers. » Ich denke aber, es kann nichts schaden, wenn Sie von nun an vorsichtiger vorgehen. Sie sollten nichts mehr unternehmen, ohne sich äußerlich gründlich zu verändern.«
Seiler sieht ihn an, wie er da sitzt, mit Pfeife, Hornbrille und dem häßlichen Backenbart, und denkt, du lieber Gott! Ich kann mir doch keine falschen Bärte ankleben, wenn ich mich mit Vivian treffen will! Sie wird denken, ich bin verrückt geworden! Wie soll ich ihr das erklären, um Himmels willen?
Reimers klopft seine Pfeife im Aschenbecher aus und sagt: » Eine neue Unterkunft für Sie wäre wahrscheinlich auch ratsam. Wenn wir in London sind, gehen wir gleich zu Ihnen und schauen, ob das Haus sauber ist oder schon beobachtet wird. Wenn nicht, holen wir Ihre Sachen, und ich bringe Sie fürs erste in einem Hotel oder einer Pension unter.«
Bei der Ankunft in Liverpool Street Station ist es halb zehn Uhr abends. Auch hier passen Polizisten und Detektive auf. Die achten jedoch nur auf die Fernzüge und schenken ihnen keine Aufmerksamkeit.
London, 12. August 1911, Samstag
Seiler nennt sich jetzt Anthony Stuart. Vorgestern, gleich nach der Ankunft, hat er die Bude in der Windmill Street verlassen. Hat seinen Koffer gepackt und ist, ohne sich zu verabschieden, zu seiner neuen Unterkunft gegangen, während Reimers weit hinter ihm aufpaßte, ob jemand folgt.
Die neue Unterkunft ist das Strand Palace Hotel, nicht weit von der Waterloo Bridge und nur eine Viertelstunde vom Cecil Court entfernt. Nicht weit ist auch das Arundel Hotel, in dem er die erste Zeit in London gewohnt hat, auf Kosten der Botschaft. Nun hat anscheinend N die Kosten übernommen. Das Strand Palace ist ein großes Hotel mit fünfhundert Zimmern zu sechs Shilling inklusive Bad und Frühstück. Seiler war mit seiner Situation zufrieden und Reimers in seiner Achtung gestiegen. Der Mann brachte etwas zuwege, von dem konnte er was lernen.
Heute morgen weckten ihn die Kirchenglocken von St. Mary’s und St. Paul. Er ließ sich Zeit mit dem Aufstehen, rasierte sich und kleidete sich an. Als er zum Frühstück hinunterging, war es schon neun Uhr vorbei. Er bestellte sich ein Bad, das eine halbe Stunde später bereit war, und genoß es ausgiebig. Danach unternahm er einen Spaziergang zum Embankment, setzte sich auf eine Parkbank und las in Conrads The Secret Agent, bis es Zeit zum Lunch
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