Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
fünf!«
Dover, Ferry Terminal, 30. September 1911, Samstag
Drummond folgt Seiler am Hafenbahnhof von Dover zum Fährterminus und sieht zu, wie der Deutsche unbehelligt den Zoll passiert. Er hat am Bahnhof die Abschiedsszene beobachtet. Die beiden lieben sich, kein Zweifel! Er hat ganz hinten beim letzten Wagen gewartet, bis Seiler eingestiegen ist, dann ist er selbst aufs Trittbrett gesprungen und hat die Tür des anfahrenden Zuges hinter sich geschlossen. Drummond fährt mit, denn er muß sich vergewissern, ob der Mann auch wirklich England verläßt. Wegen Kompetenzstreitigkeiten mit Cumming von der Foreign Section kann er Seiler nicht auf den Kontinent verfolgen. Sie werden daher auch weiter nicht wissen, ob und für welche Dienststelle der deutschen Marine Seiler arbeitet. Drummond entdeckt einen Detektiv, der zwischen zwei Constables steht und ebenfalls aufmerksam zusieht, wie Seiler über die Stelling die Fähre betritt. Der hat ihn also auch erkannt und kennt offensichtlich ebenfalls den Befehl, ihn nicht zu behelligen. Merkwürdig, daß der Deutsche keinen Versuch unternimmt, sich zu tarnen. Ist er so naiv? Oder ist er einfach harmlos, und sie haben den falschen Mann unter Verdacht?
Kells Entscheidung, diesen Seiler nicht weiter zu behelligen, hatte Melville übel aufgenommen. Nachdem der Captain gegangen war, hatte er versucht, Drummond von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen, obwohl er wissen mußte, daß Drummond auf die Entscheidungen des Chefs keinerlei Einfluß nehmen kann. Warum nimmt er den verdammten deutschen Spion nicht hoch, hatte Melville gegrollt, und räuchert das Agentennest in Petermans Buchladen endlich aus? Mit Zimperlichkeit kommt man in diesem Geschäft nicht weit! Dabei hatte er wütend gegen den Schreibtisch Kells getreten. Wenn es nach mir ginge, würde ich diese Leute in die Mangel nehmen, bis sie uns sämtliche Namen und Adressen aller Spione vorsingen!
Drummond konnte sich das gut vorstellen. Er hatte ja miterlebt, wie Melville den Deutschen vor dem Hope & Anchor traktiert hatte. Der Mann war bestimmt schwer verletzt gewesen, wenn nicht sogar tot. Gegen den Detektiv war nie ermittelt worden, sie waren ja auch schon weg, bevor die Constables heran waren. Und selbst wenn Melville als Täter ermittelt worden wäre, hätte die Polizei sicher nichts gegen ihn unternommen. Als hochdekorierter ehemaliger Chef der Special Branch hat er zweifellos mächtige Freunde, die im Notfall schützend die Hand über ihn halten.
Nach seiner Rückkehr aus Dover erfährt Drummond von Kell, die sogenannten Reimers-Briefe hätten bereits zur Enttarnung eines deutschen Agenten namens Karl Ernst geführt , der als Mittelsmann Korrespondenz innerhalb Englands weitergeleitet habe. Captain Kell hat innerhalb von wenigen Stunden mit Hilfe des Home Office, dem Winston Churchill vorsteht, erreicht, daß die Post Verdächtiger überwacht und geöffnet werden kann. Drummond kann das kaum glauben, für das liberale England ist das ein unerhörter Vorgang. Er runzelt die Stirn, wagt aber keinen Einwand.
Der deutschstämmige Brite und Friseur Karl Ernst werde intensiv beobachtet, erklärt Kell unbeeindruckt. Melville habe dank seiner Verbindungen durchgesetzt, daß zwei Scotland-Yard-Detektive ihm auf Schritt und Tritt folgten und notierten, wann er wo Briefe aufgebe. Diese sollen dann vom General Post Office aussortiert und an das SSB übergeben werden. Die Leitung des General Post Office habe sich zuerst geweigert, da ein Vertrauensschwund der Post gegenüber befürchtet werde, falls der Vorgang bekannt werde. Doch eine scharf formulierte Eilverfügung des Home Office zwinge sie, der Anweisung Folge zu leisten.
London, Cecil Court, 2. Oktober 1911, Montag
Gerade mal zehn Minuten nachdem Drummond seinen Beobachtungsposten im Kamerashop bezogen hat, hält ein Hansom Cab vor der Tür. Eine junge Dame steigt aus, und durch die Scheibe erkennt er gerade noch Vivians rothaarige Freundin, bevor sie in Petermans Buchladen verschwindet. Das Cab macht keine Anstalten weiterzufahren. Der Kutscher sitzt unbeweglich auf seinem hohen Bock an der Rückseite des zweirädrigen Gefährts, also soll er wohl auf sie warten. Die Gelegenheit, der jungen Frau zu folgen, um zu sehen, wo sie wohnt, ist zu günstig. Zu Fuß kann er mit dem schnellen Cab nicht mithalten, also schnappt er sich seine Mütze und verläßt den Laden. Die Gasse ist zu eng für das Cab, um zu wenden, daher nimmt er an, daß es gleich zur St. Martin’s
Weitere Kostenlose Bücher