Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
gelassen, aber mit erhobenem Kopf und dabei raffiniert und zugleich dezent die Hüften wiegend.
Mal sehen, wo sie wohnt und wie sie mit vollem Namen heißt. Es wäre auch interessant herauszufinden, ob sie alleine lebt. Schließlich ist er jetzt Detektiv, da ist das zumindest eine nützliche Übung. Er muß grinsen, als ihm klar wird, daß er versucht, sich vor sich selbst zu rechtfertigen.
Sie erreicht den Square und biegt rechts ab, steuert auf die City Hall zu und geht weiter in die Charing Cross Road. Will sie noch mal zu Petermans Bookshop? Nein, sie betritt ein großes Geschäftshaus gleich am Anfang der Straße. Nr. 4, sieht er, als er den Eingang erreicht. Eine Messingtafel zeigt an, daß im ersten Stock ein Büro der District Messengers untergebracht ist, und auf einer weiteren Tafel liest er: International Society of Lady Couriers and Guides. 2nd Floor. Er geht hinein und findet sich in einer Eingangshalle mit Marmorfußboden, Säulen mit Goldverzierungen und einem uniformierten Portier, der in einer Zeitung blättert und nicht die geringste Notiz von ihm nimmt. Neben der Treppe setzt sich gerade der Aufzug in Bewegung. Er schaut zu, wie der Zeiger der Etagenuhr mit einem Glockenton auf die Eins springt, dann auf die Zwei. Dort bleibt er stehen.
Arbeitet sie etwa hier, als Lady-Courier oder Fremdenführerin? Wohnungen scheint es in diesem Haus nicht zu geben. Unschlüssig bleibt er eine Weile in der Halle stehen. Soll er sich bei diesem Damen-Kurierdienst nach ihrem Namen und ihrer Adresse erkundigen? Nein, lieber nicht. Sie könnte ja als Empfangsdame oder Stenotypistin dort arbeiten. Oder bei einer der fünf oder sechs anderen Firmen im Haus beschäftigt sein. Den Portier will er auch nicht fragen, er könnte es ihr verraten, selbst wenn er ihm eine Pfundnote in die Hand drückte. Vor dem Haus wartet er noch eine halbe Stunde, dann gibt er auf und kehrt zum Cecil Court zurück, ein Weg von nur drei Minuten.
London, The Dover Castle, 4. Oktober 1911, Mittwoch
The Dover Castle ist ein Pub wie jedes andere auch. Zehn Handpumpen für verschiedene Biere ragen aus dem Tresen aus dunklem, fast schwarzem Holz mit einer Fußleiste aus Messing. An der Wand dahinter fensterartige Nischen mit Flaschen und Gläsern, darüber eine Reihe kleiner Fäßchen mit Zapfhähnen für Gin, Brandy und Whisky. Tische und Stühle gibt es nur in der abgetrennten Saloon Bar, hier vorne ist der Boden mit Sägespänen bestreut. Das Pub liegt in der Westminster Bridge Road in Lambeth, nicht weit von Clarkes Wohnung. Es ist kurz vor ein Uhr nachts, und außer ihnen sind nur noch neun Gäste da, die meisten stille Trinker. Der Wirt putzt Gläser und gähnt dabei ganz unverhohlen.
Drummond steht neben Clarke am Tresen und blickt in sein halb geleertes Glas Porter. Er fühlt sich zu dem Kollegen hingezogen. In ihm habe ich so etwas wie einen Gesinnungsgenossen gefunden, denkt er. Clarke hält auch nicht viel von dieser ganzen Deutschenpanik, die im SSB herrscht. Und er ist der einzige, von dem ich ab und zu etwas über diesen geheimniskrämerischen Verein erfahre. Nicht daß Stanley Clarke redselig wäre, er ist aber ebenfalls der Meinung, man kann um so besser arbeiten, je mehr man von den Zusammenhängen kennt.
Wieso ihr Chef die Postüberwachung so schnell durchsetzen konnte? Clarke weiß es: » Kell ist mit Winston Churchill befreundet, unserem Home Secretary«, erklärt er, » die beiden kennen sich von der Royal Military Academy her. Und Churchill ist ein Feuerfresser. Was der für richtig hält, setzt er durch, und zwar ohne auch nur eine Minute zu verlieren, und zum Teufel mit der öffentlichen Meinung.«
Und zum Teufel auch mit der liberalen Tradition Englands, ergänzt Drummond im stillen.
Captain Kell ist zwar auch von dieser Germanophobie befallen, aber er vertritt immerhin einen professionellen Standpunkt. Meine Strategie ist, sagte er neulich, deutsche Agenten ausfindig zu machen und zu beobachten, um ihre Kontakte festzustellen. Verhaftet werden sollen sie aber erst vor einem drohenden Kriegsausbruch. Melville sieht das ganz anders, das wissen sie beide nur zu gut. Drummond liegt es auf der Zunge, seinem Kollegen zu erzählen, wie Melville den Deutschen im Hope & Anchor zusammengetreten hat, läßt es aber doch sein.
Clarke sieht Schwierigkeiten für ihren Chef voraus. Er hat gehört, woher, will er nicht sagen, daß politische Kreise, darunter Churchill, mit Kells vorsichtiger Vorgehensweise nicht einverstanden
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