Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
mich mal ziemlich intensiv damit beschäftigt, da war ich fünfzehn. Aber irgendwie ist es auch Unsinn. So recht glaub ich nicht dran. Obwohl, ein bißchen davon scheint manchmal zutreffend zu sein.«
Will sie ihm damit etwas durch die Blume mitteilen? » Es schmeckt hervorragend«, sagt sie, bevor er fragen kann, und strahlt ihn an, » hundertmal besser als im College!«
Nach dem Dinner schlendern sie Arm in Arm die baumgesäumte Promenade entlang. Es ist ein herrlicher Abend, die Sonne steht bereits tief und taucht Dächer und Bäume in orangefarbenes Licht. Der Weg führt sie in den Pittville Park im Norden des Städtchens. Es wird dunkel, am Himmel leuchten die ersten Sterne. Gemächlich bummeln sie um den Pittville Lake herum. Nur wenige späte Spaziergänger sind hier noch unterwegs. Auf einer kleinen Brücke am westlichen Ende bleiben sie stehen, ans Geländer gelehnt. Zwischen den Wipfeln der Bäume wird der Mond sichtbar, groß und rund, und sie schauen schweigend zu, wie er langsam höher steigt, bis er sich im Wasser des Teiches spiegelt. Vivian löst sich vom Geländer und nimmt seinen Arm. Schweigend wandern sie weiter. Der Park ist hübsch gestaltet, zwischen moosbewachsenen Felsbrocken plätschert ein kleiner Bach von einem kleinen Wasserfall zum andern. Sie kommen an eine rustikale Holzbrücke, die den kleinen See an einer schmalen Stelle überquert. In der Nähe finden sie eine Bank, von Büschen umsäumt, die einen Blick aufs Wasser gewährt. Darüber leuchtet der Vollmond.
» Ach, ist das schön!«, sagt Vivian in ihr Schweigen hinein, » beinahe schon kitschig, findest du nicht?«
» Ich finde es sehr romantisch«, sagt er heiser und räuspert sich. Sein Mund ist ganz trocken.
Sie sieht ihn an und sagt leise: » Ich freue mich, daß du gekommen bist. Ich habe oft an dich gedacht.«
» Und ich an dich.«
Im Gebüsch hinter ihnen raschelt es leise. Ein Eichhörnchen hüpft auf den Weg, verharrt, macht ein paar kleine Sprünge und setzt sich auf die Hinterpfoten, den buschigen Schwanz erhoben. Aus schwarzen Knopfaugen blickt es sie an, die Pfötchen vor der Brust, reglos, eine halbe Ewigkeit lang. Dann macht es plötzlich einen Satz, jagt wie der Blitz über den Weg und huscht am Stamm einer Esche empor, wo es im dunklen Laub verschwindet.
» Schade«, flüstert Vivian, » so ein süßes kleines Ding!«
Sie wendet ihm ihr Gesicht zu und öffnet den Mund, als wollte sie etwas sagen, schließt ihn aber gleich wieder. Zwei senkrechte Falten erscheinen auf ihrer Stirn, sie scheint auf einmal betrübt zu sein. Seiler sieht sie besorgt an. Hat sie Kummer?
Sie blickt geradeaus, an ihm vorbei, und in ihren Augen spiegeln sich winzig klein zwei Monde.
» Was ist denn?«, fragt er leise. » Du wirkst auf einmal so traurig?«
» Ach, ich mußte nur gerade daran denken, daß du ja bald wieder nach Deutschland zurückmußt«, sagt sie, » ich glaube, dann wirst du mir fehlen.«
Da hellt sich ihr Gesicht schon wieder auf, die Stirn glättet sich, und sie lächelt. » Vielleicht besuche ich dich einmal? In den Ferien. Wenn du das möchtest?«
Sie beugt sich vor und steckt die Hände zwischen ihre Knie, aber gleich glättet sie den Rock wieder und sieht zu ihm auf. Ihr Gesicht ist bleich im Mondlicht, Augen und Lippen dunkel. Seiler spürt sein Herz klopfen. Wie wunderschön sie ist! Ihr Blick läßt ihn wieder nicht los. Es ist, als würden ihre Augen ihn ansaugen, und auf einmal berühren sich ihre Lippen. Sie schlingt die Arme um seinen Hals, zieht ihn an sich, und sie küssen sich lange. Dann sitzen sie eng aneinandergeschmiegt. Er riecht den Duft ihrer Haare, spürt ihre Wärme und lauscht ihrem ruhigen Atem. Noch nie hat er sich so glücklich gefühlt.
London, Charing Cross Station, 30. September 1911, Samstag
Der Tag seiner Abreise ist da. Vivian ist gestern extra von Cheltenham gekommen, um sich von Adrian zu verabschieden. Nun sind sie hier in der großen Halle der Charing Cross Station, und es sind nur noch zehn Minuten bis zur Abfahrt des Dover-Expreß zum Hafenbahnhof. Dort wird er die Fähre nach Calais nehmen und dann mit der Bahn nach Kiel weiterreisen. Ob sie sich dann jemals wiedersehen?
Seit gestern regnet es in Strömen. Das verstärkt ihre traurige Stimmung noch mehr. Sie stehen voreinander und halten sich an den Händen. Sein Gesicht ist ungewöhnlich ernst. Alles Jungenhafte ist verschwunden, er wirkt auf einmal viel älter. Zwei Furchen sind an seinen Mundwinkeln erschienen,
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