Verdammte Deutsche!: Spionageroman (German Edition)
sind. Sie wollen schnelle und publikumswirksame Erfolge. Motive dafür seien in erster Linie die Innenpolitik, die Flottenrüstung und Industrieaufträge.
» Würde mich nicht wundern«, meint er, » wenn Churchill sich über Major Edmonds im War Office an Melville gewandt hat, da Kell sich nicht unter Druck setzen läßt. Melville zieht nun im Hintergrund die Fäden und manipuliert Kell.« Clarke traut ihm zu, den Fall Peterman um jeden Preis forcieren zu wollen, selbst wenn Peterman unschuldig sein sollte.
» Wie kommt es, daß Sie so viel darüber wissen, Stanley?«, fragt Drummond. » Sie sind doch auch erst seit Anfang des Jahres dabei?«
» Na ja, wissen ist zuviel gesagt«, erwidert Clarke, » ich vermute hier nur. Allerdings hatte ich letztes Jahr hin und wieder mit dem War Office zu tun und bin dort auch Edmonds begegnet. Er leitet die Abteilung MO 5, der wir unterstellt sind, ist also Kells Vorgesetzter. Recht intelligenter Mann, trotzdem halte ich nicht viel von ihm. Er nimmt alles, was dieser unsägliche Le Queux schreibt, für bare Münze und ist dabei noch verbohrter als Melville. Spionage durch andere Länder, damit meine ich vor allem Franzosen und Russen, ignorieren wir inzwischen vollständig. Dabei sind gerade diese Länder hier viel aktiver als die Deutschen.«
Kiel, 10. Oktober 1911, Dienstag
Seiler steht auf der Seegartenbrücke 3 und blickt über die Förde zur Mündung der Schwentine hinüber. Dort glühen die Schornsteine und Werkshallen der Howaldtswerft in den letzten Strahlen der Sonne, die bald hinter den Dächern von Kiel versinken wird. Links davon, vor Dietrichsdorf, liegen die acht Linienschiffe des II . Geschwaders vor Anker. Die dicken Schiffe haben Backspieren ausgebracht, Boote flitzen hin und her, ein qualmender Schlepper müht sich mit einem tief im Wasser liegenden Leichter ab. Hinter den Kriegsschiffen wellen sich die sanften Hügel des Ostufers, rot und orange leuchtet das Herbstlaub der Bäume im Abendlicht herüber, da und dort spitzt ein Kirchturm über den Wipfeln hervor. Von Kitzeberg her strebt ein weißer Dampfer der Hafenrundfahrt AG auf die Reventlou-Brücke bei der Marineakademie zu, und eine Segelyacht kreuzt gegen den leichten Nordwest die Förde hinauf.
Kiel hat auch seine schönen Seiten, aber in seiner schwermütigen Stimmung nimmt er sie kaum wahr. Diese erste Woche der Trennung von Vivian war schlimm, mit schlaflosen Nächten, und es geht ihm immer noch nicht viel besser. Sein Herz ist schwer, und zwar im wörtlichen Sinn. Ein Druck ist in seiner Brust, der nicht weichen will, der wie ein eiserner Reif das freie Durchatmen behindert.
Am Montag vor einer Woche hat er sich bei der Kieler U-Flottille zurückgemeldet. Korvettenkapitän Walter Michaelis, der Flottillenchef und der einzige Offizier in Kiel, der von seiner Kommandierung nach London weiß, hatte ihn noch einmal darauf hingewiesen, er dürfe keinesfalls erwähnen, daß er die letzten drei Monate in England verbracht habe. Offiziell sei er im Berliner Reichsmarineamt in einem Ausschuß für U-Boot-Konstruktionen tätig gewesen, dies sei bereits in seine Personalakte eingetragen worden.
Die Woche war angefüllt mit einem sogenannten Auffrischungskurs, den er zum größten Teil in der Marineakademie absolvieren mußte. Dazu kamen ein paar Stunden auf dem Dockschiff Vulkan, das oben in der Wiker Bucht im Kohlenhafen lag und als Wohnschiff der Besatzungen und Sitz der U-Boot-Schule fungierte. Mit ihm saßen drei Leutnants den Kurs ab, die vom Ostasiengeschwader zurückgekehrt und ebenfalls zu den Unterseebooten kommandiert waren.
Die Boote sollen einem forcierten Testprogramm unterzogen werden, denn Admiral Tirpitz will ihre operative Eignung bis Dezember 1912 festgestellt wissen, und man weihte sie in die Einzelheiten ein. Das Übungstauchen der Boote werde intensiviert werden, die bisher hauptsächlich auf die Förde konzentrierten Ausbildungsfahrten sollen ausgeweitet werden, nach Norden bis ins Kattegat und nach Osten bis über Stettin hinaus. Auch die Anzahl der Torpedoschießübungen werde erhöht, und für das kommende Jahr seien Erprobungsfahrten in der Nordsee vorgesehen, in denen die Hochseetauglichkeit der Boote geprüft werden sollte. Technische Neuentwicklungen, zum Beispiel eine elektrische Tiefenrudersteuerung, sollen in der Praxis getestet, Tauchtiefe und Tauchzeit bis an ihre Grenzen ausgelotet werden.
Es war ihm schwergefallen, sich zu konzentrieren. Vivian beherrschte seine
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