Verdeckt
Augen.
»Ich spüre meine Füße nicht.«
»Das wird beim Laufen sicher gleich besser. Wir müssen hier raus!«, drängte Kelly. Sie zerrte Lacey zur Tür. »Komm, Süße.«
Lacey machte vorsichtige kleine Trippelschritte. Wenn sie hinfiel, würde sie sich das Handgelenk brechen. »Ich versuche es ja.« Die Bilder von Angelhaken, die ihr plötzlich vor Augen standen, sorgten dafür, dass sie die Füße schneller bewegte.
»Gut. So ist es besser.« Kellys Stimme klang freundlich und ermutigend. Doch sie zog Lacey hektisch zur Tür.
Lacey schlurfte weiter, versuchte, den unebenen Boden unter ihren Sohlen zu spüren. Kelly schaltete die schwächer werdende Taschenlampe aus. »Wir müssen die Batterien schonen. Ich weiß, wohin wir gehen können.«
»Wohin denn, Kelly?«, fragte eine männliche Stimme drohend.
Die Frauen erstarrten. Lacey spürte, dass Kellys Hände zitterten. Die Umrisse der männlichen Gestalt erschienen in der dunklen Türöffnung. Im schwachen Licht, das der Schnee reflektierte, sah Lacey sein dunkles Haar.
V IERUNDDREISSIG
»Sie haben ihn gewarnt!«, schrie Michael.
Die Frau duckte sich und schaute an seinem wutroten Gesicht vorbei. Er wollte sie schütteln. Schütteln bis zur Bewusstlosigkeit.
Michael war zusammen mit Sam noch einmal auf das Sektengrundstück zurückgekehrt und hatte Linda/Lila erneut aufgestöbert. Detective Lusco hatte ihm gesagt, der Killer sei von der Adresse verschwunden, die Lila ihnen gegeben hatte. Und Lacey mit ihm.
Verdammt, warum hatte Harper das nicht verhindert?
Michael hatte darauf vertraut, dass Lacey bei dem Mann sicher war. Wenn er nicht das Gefühl gehabt hätte, sich auf Harper verlassen zu können, wäre er in der Stadt geblieben.
Michael wusste nicht, auf wen er wütender war – auf die zitternde Frau vor ihm oder auf den adretten Ex-Cop. Oder auf die verschlafenen Detectives. Oder auf Lacey, die sich in Gefahr gebracht hatte. Er hätte sie nach Thailand oder Norwegen verfrachten sollen. Irgendwohin.
Sam berührte ihn besänftigend am Arm. Vor lauter Zorn auf die Mutter der beiden Killer loszugehen, hatte keinen Sinn. Sams blaue Augen blickten düster, doch sie wirkte besonnen und gelassen. Michael wollte ihre Hand abschütteln, spürte aber, wie ihre Ruhe sich langsam auf ihn übertrug. Er atmete tief durch.
Sam konnte nicht ahnen, wie ihm zumute war. Seine Beziehung zu Lacey hatte er ihr nicht näher erklärt. Sie war ja auch schwierig zu beschreiben. Lacey war seine Ex und gleichzeitig seine beste Freundin.
»Sie haben ihn angerufen«, sagte Sam.
Die Frau nickte. In Michaels bohrende grüne Augen schaute sie immer noch nicht.
»Warum?«
Linda DeCosta zuckte die Schultern. Sie sah Sam Verständnis heischend an und Michael dachte daran, dass Sam auch bei ihrem ersten Besuch deutlich mehr aus ihr herausbekommen hatte als er. »Er ist mein Sohn.« Obwohl Lindas Stimme kaum mehr als ein Hauch war, klangen die Worte fest.
»Und wo ist er jetzt?«, fragte Sam.
Keine Antwort.
Michael explodierte. »Wussten Sie, dass er ein Mörder ist? Er bringt Menschen um und zwar auf brutalste Weise. Und jetzt hat er eine Frau entführt, die ich liebe!« Drohend machte er zwei Schritte auf Linda zu. Er konnte einfach nicht ruhig bleiben, seine Stimme wurde lauter. »Wenn ihr etwas zustößt, nur weil Sie so scheißviel Angst haben …«
»Michael!« Sam zog ihn zurück, schob sich zwischen ihn und die Frau und drückte den Rücken gegen seine Brust. »Lila. Wo würde Ihr Sohn sich verstecken? Wo kann er sein, ohne dass einem Nachbarn etwas auffällt?« Auch in Sams Stimme schwang unterdrückte Wut, doch sie hatte sich im Griff.
Michael hielt den Atem an. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Wenn Sam nicht gewesen wäre, hätte er der Frau vermutlich den Hals umgedreht.
Lila tat, als wäre er gar nicht da. Doch ihre leeren, toten Augen hatten kurz aufgeblitzt, als Sam das Wort Nachbarn gesagt hatte.
Michael kam ein Gedanke. »Wo ist er, Lila?«, knurrte er.
Sie leckte sich nervös die Lippen. »Sie könnten es mal bei seiner alten Jagdhütte versuchen. Ich selbst war nie dort und weiß nur ungefähr, wo sie ist.«
Erzählte sie ihnen irgendwelchen Mist? »Und andere Möglichkeiten gibt es nicht?«
Lilas Gesicht wurde länger. »Das ist der einzige wirklich abgelegene Ort. Wissen Sie, er ist gern da draußen, weil …«
»Was macht er denn dort draußen so gern?«, blaffte Michael. Er zog das Handy aus der Tasche.
»Er probiert dort die
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