Verderbnis
Zombie, Sarge – Wellard – würde sich schieflachen, wenn er sie jetzt sähe. Sie überquerte das Feld, blickte dabei starr geradeaus, als hätte sie einen Haken im Brustbein, an dem sie langsam vorwärtsgezogen wurde, lief weiter zwischen einer kleinen Gruppe dicht beieinanderstehender Bäume und über zwei Zauntritte auf einen kurzen Kiesweg, der im diffusen Licht der Taschenlampe silbern schimmerte. Nach zehn Minuten blieb sie stehen.
Der Pfad war schmal. Rechts davon zog sich das Gelände bergauf, links verlief es steil bergab zu einer teerschwarzen Wasserrinne, einem stillgelegten Kanal. Das war der Thames and Severn Canal, ein Wunder der Wasserbaukunst aus dem 18. Jahrhundert, dazu angelegt, Kohle vom Mündungslauf des Severn zu transportieren. Als er nicht mehr gebraucht wurde, hatte er noch eine Weile als Ausflugsziel gedient. Jetzt war er halb ausgetrocknet und der Rest des Wassers zu einer dunklen, giftig aussehenden Brühe geworden. Flea kannte diesen Kanal, kannte ihn von Anfang bis Ende. Nach Osten reichte er sechsundzwanzig Meilen weit bis Lechlade, in westlicher Richtung acht Meilen bis Stroud. Er war gesäumt von den Spuren seines früheren Daseins. Alle paar hundert Schritte stieß man auf den verrotteten Rumpf alter Kohlenschuten und Vergnügungsboote. Auf dem kurzen Abschnitt, den sie jetzt übersehen konnte, lagen zwei.
Sie ging den Treidelpfad entlang bis zum nächsten Kahn, setzte sich auf die Kante und schwang die Beine auf das Deck. Der Geruch von Fäulnis und stehendem Wasser war überwältigend. Bakterien und Moos. Sie stützte sich mit einer Hand am Deck ab und lehnte sich vor, um mit der Lampe in den Rumpf zu leuchten. Der Kahn sah nicht aus wie die alten, eisernen Kohlenschuten, die als Erste auf dieser Wasserstraße unterwegs gewesen waren; es schien sich um einen neueren, aus Holz gebauten Lastkahn zu handeln, wie sie in Norfolk üblich gewesen waren; den Mast hatte man entfernt und durch einen Dieselmotor ersetzt. Vielleicht wurde er auf diese Seite des Landes geschafft, um ihn als Ausflugsboot auf dem Kanal einzusetzen. Die Planken waren inzwischen morsch und der Rumpf halb im stinkendem Wasser, in dem Müll aus dem Kanal schwamm, versunken. Sonst war nichts zu sehen. Sie richtete sich auf und wandte sich dem Steuerdeck im Heck zu, stieß mit dem Fuß Bierdosen zur Seite und Plastiktüten, die wie tote Quallen im Wasser lagen. Sie tastete alles an Deck ab, ohne etwas zu finden. Anschließend stemmte sie sich wieder hinauf auf den Treidelpfad und lief weiter zum nächsten Wrack. Es war älter und ragte höher aus dem Kanal. Im Rumpf stand das Wasser nur knietief. Sie ließ sich hineinfallen. Das eiskalte, tintenschwarze Wasser durchnässte ihre Jeans. Sie watete ein kleines Stück weit, während ihre Füße jeden Zollbreit des Bodens abtasteten, jeden Nagel, jedes Stück Treibholz.
Etwas klirrte metallisch und rollte davon, aber nicht sehr weit. Sie schob den Ärmel zurück, tauchte die Hand ins kalte Wasser und tastete im Schlick nach dem Gegenstand. Sie fand ihn und hob ihn auf.
Ein Festmachhaken. Sie richtete sich auf und beleuchtete ihn mit der Taschenlampe. Er war ungefähr dreißig Zentimeter lang und geformt wie ein langer, dicker Zelthering. Das obere Ende war breit geklopft: Jahrelang war es mit dem Hammer in die Uferböschung getrieben worden, damit man den Kahn daran festmachen konnte. Dicker als eine Messerklinge und schärfer als ein Meißel – gut geeignet, um die gezackten Furchen in den Gipsabdrücken der Spurensicherung zu hinterlassen. Möglicherweise hatte der Entführer damit seine Fußspuren unkenntlich gemacht.
Sie kletterte aus dem Kahn und stand mit triefenden Beinen auf dem Pfad. Ihr Blick wanderte über den matt schimmernden Kanal. Alle Schuten würden solche Haken benutzt haben. Es musste hier wimmeln von diesen Dingern. Sie betrachtete den Gegenstand in ihrer Hand. Er würde eine gute Waffe abgeben. Mit jemandem, der so etwas in der Hand hielt, würde man keinen Streit anfangen. Nein. Man würde ihm nicht widersprechen. Schon gar nicht, wenn man erst elf Jahre alt war.
21
D ie Hündin hieß Myrtle. Sie hatte ein schütteres Fell und war halb verkrüppelt von einer Arthritis. Ihr schwarz-weißer Schwanz hing schlaff an ihrem knochigen Hinterteil herab. Aber sie humpelte gehorsam hinter Caffery her, sprang auf den Rücksitz seines Wagens und wieder heraus, ohne zu klagen, obwohl er sah, dass es ihr wehtat. Sie wartete sogar geduldig vor dem
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