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Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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hinein und stellte es vor seine Frau. Caffery schaute das Glas an. Der Wodka roch wie der ruhige Ausklang eines Tages. »Janice«, sagte er. »Sie hatten Streit mit einer Frau dort. Das hat man mir gesagt.«
    Sie trank einen kleinen Schluck und stellte das Glas wieder auf den Tisch. »Das stimmt.«
    »Worum ging es?«
    »Ich hatte an der falschen Stelle angehalten. Zu nah am Zebrastreifen. Sie hat mich angeschrien. Und sie hatte recht damit. Aber ich hab’s nicht gut aufgenommen. Ich war bekleckert von heißem Kaffee und … aufgebracht.«
    »Sie kannten sie also nicht?«
    »Nur vom Sehen.«
    »Kennt sie Sie denn? Kennt sie Ihren Namen?«
    »Das bezweifle ich sehr. Warum?«
    »Und die übrigen Zeugen? War jemand dabei, den Sie namentlich kennen?«
    »Wir wohnen noch nicht lange hier, erst seit einem Jahr, aber die Stadt ist klein. Da kennt man schnell die Gesichter, aber keine Namen.«
    »Und Sie glauben nicht, dass jemand Ihren Namen kannte?«
    »Ich glaube nicht, nein. Warum?«
    »Haben Sie mit Freunden über die Sache gesprochen?«
    »Nur mit meiner Mum und meiner Schwester. Ist es denn geheim?«
    »Wo sind die? Ihre Mum und Ihre Schwester?«
    »In Wiltshire und in Keynsham.«
    »Ich bitte Sie, es dabei zu belassen. Sprechen Sie mit niemandem mehr darüber.«
    »Wenn Sie mir erklären, warum.«
    »Das Letzte, was wir gebrauchen können, wäre ein Medienzirkus um Emily.«
    Am anderen Ende der Küche öffnete sich eine Tür, und die Frau von CAPIT  – dem Kinderschutzdezernat – kam herein. Sie trug Schuhe mit weichen Sohlen; geräuschlos trat sie zu Caffery und legte ein paar zusammengeheftete Blätter vor ihn auf den Tisch. »Ich glaube nicht, dass man sie noch einmal vernehmen muss«, sagte sie. Sie sah älter aus, als er sie in Erinnerung hatte. »Wir sollten sie vorläufig in Ruhe lassen. Es hat keinen Sinn, sie zu strapazieren.«
    Janice schob ihren Stuhl zurück. »Geht es ihr gut?«
    »Aber ja.«
    »Kann ich jetzt gehen? Ich möchte gern bei ihr sein. Wenn das okay ist?«
    Caffery nickte und sah ihr nach, als sie hinausging. Nach ein paar Augenblicken stand Cory auf, trank Janices Wodkaglas in einem Zug leer, stellte es hin und folgte seiner Frau. Die CAPIT -Kollegin setzte sich Caffery gegenüber an den Tisch und sah ihn eindringlich an.
    »Ich habe genau das getan, was Sie gesagt haben.« Sie deutete mit dem Kopf auf die Liste der Fragen, die sie Emily gestellt hatte. »Es ist in diesem Alter noch schwer, Fakten von Fiktionen zu unterscheiden. Sie geht zwar zur Vorschule, aber auch dafür ist sie noch sehr jung. Kinder in diesem Alter erzählen nicht linear – nicht wie Sie oder ich es tun würden. Aber …«
    »Aber?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, was sie ihrer Mutter erzählt hat, ist im Großen und Ganzen wirklich alles. Was ihre Mutter dann der örtlichen Polizei berichtet hat und was Sie in Ihren Notizen stehen haben: dass der Entführer nicht viel geredet und Handschuhe getragen, dass er sich nicht selbst angefasst hat. Ich bin sicher, da sagt sie die Wahrheit. Er hat gemeint, er würde ihrem Stoffhasen wehtun. Jasper. Das ist im Moment das größte Problem für sie.«
    »Er hat ihr keinen Pfannkuchen versprochen?«
    »Ich glaube, dazu war keine Zeit. Es war sehr schnell vorbei. Er sagte ein ›böses Wort‹, als er die Gewalt über den Wagen verlor. Und sofort nach dem Unfall sprang er hinaus und war weg.«
    »Ich wäre auf dem Weg hierher auch beinahe in den Graben gerutscht.« Nick stand an der Spüle und drückte gewissenhaft einen Teebeutel mit einem Löffel an der Tassenwand aus. »Es ist mörderisch da draußen.«
    »Nicht für Emily«, sagte Caffery. »Emily hat es vielleicht das Leben gerettet.«
    »Sie denken also, Martha ist tot«, stellte Nick sachlich fest.
    »Nick, wissen Sie, was ich wirklich denke? Ich denke wirklich überhaupt nichts. Nicht in diesem Stadium.«
    Er faltete die andere Hälfte der Karte auseinander und folgte mit dem Finger dem Weg des Entführers bis zu der Stelle, wo er die Gewalt über den Audi verloren und ihn an die Böschung gefahren hatte. Er hatte nicht versucht, Emily aus dem Wagen zu holen, sondern war einfach querfeldein weggerannt. Zeugen gab es keine, und es hatte lange gedauert, bis jemand vorbeikam und das kleine Mädchen gefunden hat, das schluchzend auf dem Rücksitz saß und seine Schultasche an sich presste, als wollte es sich damit schützen. Merkwürdig war, dass er eine Straße gewählt hatte, die buchstäblich ins Nichts

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