Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Verderbnis

Titel: Verderbnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
Vom Netzwerk:
führte.
    »Das ist eine Schleife«, sagte er nachdenklich und zu niemandem speziell. »Sehen Sie doch – das führt nirgendwohin.« Er verfolgte die Strecke und stellte fest, dass der Entführer von dort, wo er den Wagen mit Emily genommen hatte, die A 303 und die A 350 entlanggefahren und außerhalb von Frome auf die A 36 eingebogen sein musste – genau dort, wo die Kameras der automatischen Kennzeichenerkennung aufgestellt worden waren, um den Yaris der Bradleys oder den Vauxhall zu finden. Nur hatte das Schicksal gewollt, dass der Entführer die A 36 unmittelbar vor den Kameras wieder verlassen und einen Umweg über eine winzige Nebenstraße der B-Klasse gemacht hatte, die sich lediglich ein paar Meilen weit durch die Landschaft schlängelte und dann wieder auf die Hauptstraße führte. Vor der Einmündung in die A 36 hatte er den Unfall gehabt, aber selbst wenn das nicht passiert wäre, hätten die Kameras ihn nicht erfasst. Beinahe so, als hätte er den Umweg gemacht, weil er wusste, dass sie da waren.
    Caffery faltete die Landkarte zusammen und schob sie in die Mappe mit seinen Unterlagen. Die Kameras fielen nicht jedem sofort auf. Die taktische Einheit benutzte bei solchen verdeckten Einsätzen Lieferwagen mit dem Logo der Gaswerke. Der Entführer hatte einfach teuflisches Glück gehabt. Cafferys Blick wanderte zu dem leeren Glas, und dann spürte er, dass ihn jemand beobachtete. Er hob den Kopf und sah, dass die CAPIT -Polizistin ihn anschaute.
    »Was ist?«, fragte er. »Was wollen Sie?«
    »Würden Sie mit ihr sprechen? Mit Emily? Sie muss wissen, dass wir etwas tun. Sie hat furchtbare Angst. Bis jetzt hat sie nur mich und die Familienbetreuerin gesehen, und sie muss wissen, dass auch ein Mann dabei ist, ein Mann, der etwas zu sagen hat. Sie braucht einfach die Versicherung, dass nicht alle Männer böse sind.«
    Caffery seufzte. Gern hätte er gesagt, dass Kinder ihm ein Rätsel waren, dass andere Leute sie verstanden und ihnen vertrauten, während sie in ihm nur Trauer weckten – und Angst vor dem, was ihnen zustoßen konnte. Aber das sagte er nicht. Er stand auf und griff müde nach seiner Mappe. »Also gut. Wo ist sie?«

27
    E mily saß im Schlafzimmer ihrer Eltern auf dem riesigen Doppelbett zwischen Janice und Cory. Ihre Schulkleidung war noch bei der Spurensicherung, und sie trug jetzt einen bequemen beige-weißen Jogginganzug und flauschige blaue Strümpfe. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett und hielt einen verschlissenen Filzhasen vor der Brust. Ihr dunkles Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und ihr längliches Gesicht wirkte schon mit vier Jahren selbstbewusst. Wenn Caffery es hätte entscheiden können, dann hätte er sie Cleo genannt und die blonde Ponyreiterin Emily.
    Linkisch blieb er vor dem Bett stehen. Emily musterte ihn von oben bis unten. Er verschränkte die Arme, weil er nicht wusste, wo er sie sonst lassen sollte, und weil sie ihn befangen machte. »Hallo«, sagte er nach einer Weile. »Wie heißt dein Hase?«
    »Jasper.«
    »Wie geht’s ihm?«
    »Er hat Angst.«
    »Das glaube ich. Aber sag ihm, es ist alles vorbei. Er muss keine Angst mehr haben.«
    »Muss er doch. Er muss Angst haben. Jasper hat Angst.« Ihr Gesicht legte sich in Falten, und zwei Tränen quetschten sich aus ihren Augen. Sie zog die Knie hoch. »Ich will nicht, dass er kommt und Jasper wehtut. Er hat gesagt, er will Jasper wehtun, Mummy. Jasper hat Angst.«
    »Ich weiß, ich weiß.« Janice legte einen Arm um ihre Tochter und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Jasper wird nichts passieren, Emily. Mr. Caffery ist Polizist, und er wird diesen grässlichen Mann fangen.«
    Emily hörte auf zu weinen und schaute ihn wieder prüfend an. »Sind Sie wirklich ein Polizist?«
    Er schlug seine Jacke zur Seite und zog die Handschellen hervor. Normalerweise lagen sie im Handschuhfach seines Wagens. Es war reiner Zufall, ein Versehen, dass er sie heute unter dem Jackett trug.
    »Was ist das?«
    »Pass auf.« Er machte Cory ein Zeichen, und der streckte ihm die Hände entgegen und ließ sich die Handschellen anlegen. Er tat, als versuchte er, sich wieder von ihnen zu befreien, aber das musste Caffery tun. »Hast du gesehen?«, fragte Caffery. »Das mache ich mit bösen Männern. Dann können sie niemandem wehtun. Vor allem nicht Jasper.«
    »Daddy ist aber kein böser Mann.«
    Caffery lachte. »Nein, er nicht. Deshalb werde ich Daddy auch nicht verhaften.« Er steckte die Handschellen wieder weg.

Weitere Kostenlose Bücher