Verdi hören und sterben: Ein Roman aus Venedig und dem Veneto (German Edition)
Von den dunklen Holzbalken an der Decke hingen Krüge, große Schinken und Würste. Die Theke war dicht belagert von einem bunt gemischten Publikum aus Einheimischen und Touristen. Franco Paolo hatte einen kleinen Teller mit Salami vor sich. Neben dem obligatorischen Glas Rotwein lag die Tageszeitung. Er wartete auf Alberto, mit dem er verabredet war. Ebenso wie sein Schwager stand auch er in Diensten des Principale, hatte allerdings einen bei weitem nicht so aufregenden Job wie dieser. Er war der für Venedig zuständige Ragioniere des Principale, der Buchhalter, der die Einnahmen aus den diversen Geschäften bilanzierte. Er musste seinem Schwager Alberto dankbar sein, dass er ihm diese Stelle besorgt hatte. Bei der Behörde, für die er früher gearbeitet hatte, hatte man ihn rausgeschmissen, obwohl er sich eigentlich nichts zu Schulden hatte kommen lassen. Nur weil er etwas verschroben war und mit seinen weiblichen Kollegen so seine Probleme hatte. Das war ja nun wirklich kein Grund. In der Organisation des Principale fühlte er sich jedenfalls gut aufgehoben. Da störte sich niemand an seinen Eigenarten. Und seine Leistungen als Buchhalter waren über jeden Zweifel erhaben. Er brach ein Stück Brot ab, legte eine Scheibe Salami darauf und schob es sich in den Mund. Sein Blick fiel auf die Tageszeitung. »Il killer delle prostitute colpisce ancora!«, stand in großen Lettern auf der Titelseite. Darunter das unscharfe Bild der Badewanne, in der die Tote gefunden worden war. Ihr Name wurde mit Giuliana M. angegeben. Sie war offenbar der Polizei als Prostituierte bekannt gewesen. Auch Franco Paolo hatte Giuliana gekannt, das brachte sein Beruf mit sich. Eigentlich war sie ein nettes Mädchen gewesen. Viel zu nett für die ekelhaften Freier, mit denen sie sich ins Bett legte. Mit zitternden Händen rückte er seine Brille zurecht. Im Artikel stand auch, dass der Mörder Giuliana mit einer roten Samtkordel erdrosselt hatte. Franco Paolo leerte sein Rotweinglas mit einem Schluck. Wo nur Alberto blieb? Er trennte die Titelseite ab, faltete sie akkurat zusammen und steckte sie in seine Aktentasche.
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D ie Nachtbar in der Nähe des Teatro La Fenice war gut besucht. Rudolf saß auf einem hohen Hocker und schaute dem Barkeeper zu, wie er einen Gin Fizz mixte. Langsam beruhigte er sich wieder. Noch vor einer halben Stunde hätte er sich am liebsten selbst verprügelt. So ein Schwachsinn. Warum hatte er sich von Andrea Bianchi zu dieser wahnwitzigen Pokerrunde einladen lassen. Mit Spielkarten hatte er noch nie besonderes Glück gehabt. Roulette und Würfelspiele, ja, das war seine Welt, da fühlte er sich sicher wie in Abrahams Schoss. Aber Poker? Nein, das war eigentlich überhaupt nicht nach seinem Geschmack. Doch ihn hatten die hohen Einsätze gelockt, um die bei dieser privat organisierten Pokerrunde gespielt wurde. Bianchi hatte ihm die Teilnahme ermöglicht. Der Rahmen war tatsächlich außergewöhnlich gewesen, um nicht zu sagen pervers, geradezu gotteslästerlich. Mit der Gondel waren sie zu einer versteckten Chiesa gefahren. Die Tür wurde hinter ihnen sofort wieder verriegelt. Hunderte von hohen weißen Kerzen illuminierten den Kartentisch, der im Kreuzgang vor dem Hochaltar stand. Die Kirchenorgel verstummte. Fünf Spieler hatten bereits auf ihn gewartet. Rasch hatte man sich über die Regeln verständigt. Gespielt wurde ohne Limit, also nichts für Waschlappen. Schon lag das erste Blatt auf dem Tisch. Vom Deckenfresko schien ihm ein Erzengel ständig in die Karten zu schauen. Es hatte gut angefangen. Aber nach zwei Stunden wendete sich das Glück. Und eine Stunde später hatte er ein kleines Vermögen verloren. Dabei hatte er wirklich ein unglaubliches Pech gehabt. Gleich zweimal hatte er bei einem Straight hoch gesetzt, um dann von einem noch besseren Blatt geschlagen zu werden. Das gab es doch einfach gar nicht. Und als er dann bei einem Full House aufs Ganze gegangen war, da hatte ihm ein Straight Flush das Genick gebrochen.
Der Erzengel hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Und obwohl solche Pokerrunden normalerweise die ganze Nacht andauern, hatte er nach dem Straight Flush die Segel gestrichen. Sollten doch die anderen von ihm denken, was sie wollten. Das spielte keine Rolle.
Er hatte wirklich genug verloren. Es reichte!
Rudolf nippte am Gin Fizz und betrachtete sich im Spiegel über der Bar. Eigentlich hatte er allen Grund, auf sich stolz zu sein. Dass er den Absprung geschafft hatte, ohne sich um Kopf
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