Vereist (German Edition)
…
Verdammt
. Sie hatte ihr Gittermuster verlassen und starrte ins Nichts.
Sie und Liam waren schon jahrelang zusammen. Aber es hatte nicht mit einem plötzlichen Kribbeln und mit Schmetterlingen im Bauch angefangen. Sie waren ein Paar geworden, weil sie sich ähnlich waren, weil sie dieselben Dinge mochten. Sie waren beide gern draußen in der Natur unterwegs – mit dem Mountainbike und mit dem Hund. Aber wann waren sie zuletzt miteinander Rad gefahren? Liam hatte sich verändert. Seit etwa einem Jahr versuchte er ständig, sie zu beglucken und zu kontrollieren.
Er nahm ihr die Luft zum Atmen.
In der Nacht vor dem Rettungseinsatz hatten sie sich die Neuauflage eines alten Streits geliefert. Er wollte, dass sie zu Hause blieb und nicht irgendwo draußen im Gebirge herumlief. Warum suchte sie sich keinen ganz normalen Job in irgendeinem Krankenhaus? Warum musste sie eine Arbeit machen, bei der sie mitten in der Nacht zu einem blutigen Autounfall gerufen wurde? Weshalb bestand sie darauf, an Sucheinsätzen teilzunehmen, die für sie selbst gefährlich werden konnten?
Diese Fragen stellte ihr ausgerechnet ein Mann, der bereit war, zu jeder Tages- und Nachtzeit für sein Land in einen Hubschrauber zu springen und ins Ungewisse zu fliegen.
Sie trat gegen einen weiteren Schatten unter dem Schnee. Noch ein Ast. Seufzend ging sie weiter. Das Schneetreiben war wiederheftiger geworden. Schon den ganzen Tag über fielen entweder schwere Flocken oder es prasselten eisige Graupelkörner vom Himmel.
Angespannt betrachtete Brynn den Boden. Bis zu dem Felsrutsch im letzten Jahr war sie noch nie bei einem Einsatz verletzt worden. Sie hatte stets das Gefühl gehabt, draußen in der Wildnis sicher zu sein. Aber dann hatte sie sich doch einen Schlüsselbeinbruch und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Liam war stinksauer in die Notaufnahme gestürmt und hatte sie vor eine Wahl gestellt.
Die Rettungseinsätze oder er.
Sie hatte den Erpressungsversuch ignoriert.
Doch ihren Streit hatte man bis in den letzten Winkel des Raumes gehört. Eine Ärztin hatte schließlich eingegriffen, sie beide mit bösen Blicken gemaßregelt und Brynn gefragt, ob sie die Polizei rufen wolle. Brynn hatte den Kopf geschüttelt, und Liam war aus dem Hospital gerannt. Später hatte dieselbe Ärztin mit ihr ein gut gemeintes, aber überflüssiges Gespräch über Gewalt in der Beziehung führen wollen.
Liam würde sie niemals schlagen. Und falls doch, dann wäre er derjenige, der in der Notaufnahme landen würde. Das wusste er.
Auf Liams Forderung war Brynn nicht weiter eingegangen, sie hatte das Thema einfach totgeschwiegen.
Aber ein paar Monate später hatte er die nächste gestellt: Er wollte Kinder, und er wollte heiraten.
Brynn wollte in Panik davonlaufen.
Liam hatte offenbar nichts kapiert. Er bat sie, in eine Verlobung einzuwilligen – sonst würde er ausziehen.
Am nächsten Tag nahm er seine Worte zurück.
Aber es war zu spät. Die Spannungen zwischen ihnen verschärften sich, und er fing an, auf der Couch zu schlafen. Dann hatte sie ihn gebeten auszuziehen. Er zog zu seinem Bruder und redete eine ganze Woche lang nicht mit ihr. Im Lauf der letzten beiden Monate hatten sie einander nach und nach erklärt, was sie von einer Beziehung erwarteten.
Ihre Bedürfnisse passten nicht wirklich gut zusammen. Und sie waren beide stur wie Esel. Brynn weigerte sich, sich zu ändern, und Liam weigerte sich, das zur Kenntnis zu nehmen. Sie beide waren Geschichte. Und jetzt fühlte sie sich zu einem anderen Mann hingezogen.
Z WÖLF
Wo ist die Suchmannschaft?
Liam Gentrys Augen brannten. Stundenlang hatte er in das blendende weiße Zeug gestarrt. Da half auch die Schutzbrille nichts mehr. Sein Bruder Tyrone hüllte sich seit dreißig Minuten in Schweigen. Liam wusste, dass Tyrone umkehren wollte. Windböen warfen den Hubschrauber hin und her, und sie hatten kaum Sicht. Er beobachtete, wie Tyrones Blick alle paar Sekunden zwischen dem Fenster und den Anzeigen hin und her sprang. Der zuckende Muskel im Kiefer seines Bruders sagte Liam, dass er ihn bis ans Limit getrieben hatte.
Sie waren beide nicht ganz bei Trost.
Wenn Liams Kommandeur erfuhr, dass er seinen Bruder dazu gebracht hatte, bei derart riskanten Wetterbedingungen zu fliegen, würde er ihn sechs Monate lang nicht mehr starten lassen. Ein halbes Jahr am Boden würde Liam nicht überleben. Fliegen war sein Leben.
Er hatte einen absoluten Traumjob, durfte mit teuren Hightech-Maschinen in
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