Vereist (German Edition)
einem Stamm zum anderen. Als sie noch etwa dreißig Meter vom Cockpit entfernt waren, brach Jim die Unterhaltung ab. Alex suchte mit den Augen ständig die Umgebung nach jeder noch so kleinen Bewegung ab. Dass sein Rücken ständig prickelte, gefiel ihm gar nicht. Eigentlich gab es gar keinen Grund dafür. Die Lawine hatte das Cockpit gegen eineGruppe von Tannen gedrückt und das Metallgehäuse zu zwei Dritteln mit Schnee bedeckt. Alex sah die Stelle nicht, an der Jim und Thomas sich gestern hineingegraben hatten. Die Männer hatten gehofft, im Inneren noch etwas Brauchbares wie Taschenlampen, Planen oder etwas Proviant zu finden. Aber sie waren mit leeren Händen zurückgekehrt.
War vor ihnen schon jemand da gewesen?
Der Schnee bedeckte alles mit unschuldigem Weiß. Doch rund um das Cockpit hing Spannung in der Luft. Vielleicht fühlte sich das nur so an, weil sie wussten, dass darin noch zwei Männer tot in ihren Sitzen hingen und ein dritter Toter auf dem Boden lag. Sie hatten überlegt, ob sie die Leichen in eine würdigere Position bringen sollten. Aus Gründen der Pietät und als Ausdruck von Respekt. Aber die Beine des Piloten waren hoffnungslos in dem Wrack verklemmt. Ihn zu befreien wäre eine ziemlich scheußliche Angelegenheit geworden. Widerstrebend hatten sie beschlossen, die Männer dort zu lassen, wo sie waren.
Jim winkte Alex hinter sich und ging voran. Alex wollte widersprechen, ließ es aber bleiben. Er gehörte nun zu Jims Team, und Jim hatte ihn in den letzten Tagen oft mit seinen Führungsqualitäten beeindruckt. Außerdem war Jim ein Cop. Kein arbeitsloser
Ex
gesetzeshüter wie Alex.
Den Pfad, den Jim und Thomas sich gestern gebahnt hatten, hatte der Neuschnee längst zugedeckt. Alex starrte angestrengt auf den Boden vor dem Cockpit. Er wollte sehen, ob ein anderes Paar Füße eine eigene Spur hinterlassen hatte. Doch es gab überall blaue Schatten, und bald sah er Spuren, wo gar keine waren. Sein Atem erschien ihm viel zu laut für diese Weihnachtspostkartenidylle. Er rauschte in seinen Ohren, als kämpfte sich ein Zug einen langen, steilen Hügel hinauf.
Jim warf ihm über die Schulter einen Blick zu. Alex nickte und positionierte sich so, dass er Jim Deckung geben konnte, als der um die Ecke bog und die Waffe in das aufgerissene Ende des Cockpits hielt. Alex lauschte mit jeder Faser seines Körpers. Doch im Cockpit blieb alles still. Jim winkte ihn herein. Die beiden Männersahen sich im Inneren um. Linus lag noch immer auf dem Boden, so wie Jim und Thomas ihn am Vortag hingelegt hatten, nachdem ihn die Lawine aus dem Wrack geschleudert hatte.
»Wurde irgendetwas verändert?«, fragte Alex.
Jim sah sich genau um. »Keine Ahnung. Der Wind hat Schnee hereingeweht. Aber ich dachte, es müsste mehr sein. Du hast sicher mitbekommen, wie windig es letzte Nacht war.«
Alex nickte. Die abgerissene Seite des Cockpits war zu drei Vierteln durch eine Schneewehe verschlossen. Die Seite war völlig unter dem Schnee begraben gewesen, bis Jim und Thomas sich durchgebuddelt hatten. Alex’ Nacken prickelte wieder, und er fuhr herum. Sein Blick flog am Waldrand entlang.
Nichts.
»Ach, verdammt. Hier ist niemand. Und letzte Nacht war auch keiner da. Wenn Besand wirklich in dem Flugzeug war …«, sagte Jim.
»War er. Er hat sich Linus’ Waffe geholt.«
»Aber jetzt ist er weg. Er war schon weg, als wir gestern hier ankamen. Und falls er kein Zelt oder wenigstens eine Plane gefunden hat, werden wir auf dem Rückweg einen menschlichen Eiszapfen finden. Oder ein Jäger oder Wanderer findet ihn im Sommer.« Jim trat in den Schnee. »Wir gehen zurück und packen zusammen. Wir müssen hier weg.«
»Glaubst du, Ryan schafft das?«
Jim legte die Stirn in Falten. »Gestern Abend dachte ich, es geht ihm etwas besser. Mal sehen, wie er sich heute Morgen fühlt.« Auf Jims Zügen spiegelten sich abwechselnd Sorge, Entschlossenheit und Erschöpfung. »Und noch eins.«
»Ja?«
»Brynn hält dich immer noch für einen Marshal.«
Alex sagte nichts.
»Aber vielleicht hat sie einen Verdacht. Ich hätte es ihr fast gesagt.«
»Ich sage es ihr.« So stark wie in diesem Augenblick hatte Alex der Verlust seines Jobs noch nie berührt. Bisher hatte er nur wie besessen gehofft, bald dem Mörder seines Bruders gegenüberzustehen.
Wenn er diese Sache hinter sich hatte, würde er ein neues Leben beginnen. Sich wieder auf das Entwickeln von Computerspielen konzentrieren. Das war immer sein Hobby gewesen und recht
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