Verfault 2 xinxii
nicht.
Den nächsten Tag verbrachte ich wie in Trance. Ich lag die ganze Zeit auf der unbequemen hölzernen Pritsche und starrte an die Decke. Unendlich viele Gedanken durchströmten meinen Kopf. Ich würde meine Familie nie wiedersehen, meine Tochter ohne Vater aufwachsen, aber dies tat sie ja eh schon, da ich Idiot wie die vielen anderen Nieten hier gierig nach dem schnellen Geld war. Ich hätte in Boston bleiben sollen, dann wäre das Leben zwar karg, aber ich würde wenigstens leben! Es war so trostlos in diesem Kaff, bevor ich in dieser Zelle landete. Was tat ich hier überhaupt?
Vor meinen Augen tanzte meine Tochter bei einer Schulaufführung, meine Frau stand in der Küche und warf mir einen liebevollen Blick zu. Ich versuchte mich an ihre Stimme zu erinnern, jedoch fiel es mir sehr schwer, bis es mir endlich gelang. Wenn ich gelernt hätte zu weinen, hätte ich es jetzt getan. In dieser Einöde und ohne Anteilnahme meiner Familie würde mein Leben morgen enden. Was kam danach? Ich vertraute auf eine zweite Chance, aber was, wenn ich in die Hölle käme? Ich wollte nicht daran denken, aber diese Frage drängte sich immer wieder in den Vordergrund.
Mir wurde erlaubt, einen Brief an meine Frau zu schreiben, aber wenn dieser sie erreichte, würde ich schon seit Wochen tot sein. Irgendwann kam einer der Hilfssheriffs und fragte mich, nach dem Wunsch für die Henkersmahlzeit. Dies führte mir noch einmal vor Augen, dass es bald vorbei sei. Ich wollte keine Henkersmahlzeit und mir war völlig egal, aus welchem Gericht sie bestand. Ich wollte leben!
Ich war unfähig, auch nur eine Minute zu schlafen in meiner letzten Nacht hier auf Erden. Meine letzte Nacht! Jeder hatte irgendwann seine letzte Nacht, aber die Wenigsten wussten, wann dies sei. Ich aber wusste es; es war diese Nacht. Diese und keine andere. Das erste Mal seit diesem Abend dachte ich nicht in Verärgerung an das Geschehen zurück, sondern nur im Zorn auf mich. Bestanden meine Gedanken bisher immer nur in Selbstmitleid, dachte ich in diesen Momenten erstmals an mein Opfer. Ich hatte einen Menschen getötet und dies wurde mir jetzt in dieser Deutlichkeit bewusst. Auch Lilly hatte eine Familie gehabt und ihre beiden Kindern, ein Junge von etwa acht und ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren, die sie alleine groß zog, waren bei der Verhandlung anwesend. Ihre Augen waren rot von Tränen und immer wieder drang ein Schluchzen zu mir hinauf. Ich war für dieses Schluchzen verantwortlich. Ich und niemand sonst. Aus verletzter Eitelkeit und weil ich meinen Besitz zurück haben wollte, hatte ich nicht nur mein Leben verwirkt, sondern auch ihres. Hatte nicht nur meiner Familie Leid zugefügt, sondern auch diesen unschuldigen Kindern. Ich war nicht nur im Sinne des Gesetzes schuldig, ich war verantwortlich in jedem Sinne. Ich begann zu weinen und dies zum ersten Mal in meinem Leben als Erwachsener. Ich war 38 und nie konnte ich Tränen vergießen, immer wollte ich nur Mann sein, aber in diesem Moment der Erkenntnis, konnte ich wieder weinen. Und ich genoss die Tränen, denn sie bewiesen mir, dass ich immer noch ein Mensch war. Ein Mensch, der ein schlimmes Verbrechen begangen hatte, aber immer noch ein menschliches Wesen!
Der Morgen brach herein und ein Sonnenstrahl drang durch das vergitterte Fenster. Ich legte meine Füße in ihre Strahlen, um wenigstens ein wenig Wärme zu empfangen. Es wurde Zeit, mich auf den letzten Gang vorzubereiten und ich erstrebte ihn nicht im Groll und voller Wut beschreiten. Ich wollte bereit sein, dem Schöpfer entgegenzutreten. Ich konnte meiner Frau nichts mehr mitteilen, ebenso meiner Tochter nicht, aber eines konnte ich noch erledigen, auch wenn es niemanden nützen würde...
Um 10 Uhr betraten der Sheriff, seine beiden
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