Verfehlung: Thriller (German Edition)
übel, und sie hielt sich mit zwei Fingern die Nase zu.
Der Mann grinste und rutschte ihr auf dem Bett ein Stück entgegen. Er stützte sich auf beide Unterarme und beugte sich über sie, bis seine Nase fast die ihre berührte, aber Ellie brachte es nicht über sich, ihren Blick von seinem abzuwenden.
»Du magst mich wohl nicht, was, Mädchen?«
Sie nickte, und das brachte ihn wieder zum Lachen. Ein Tropfen Spucke landete unterhalb ihres rechten Auges auf der Wange, und sie zuckte vor Ekel zusammen.
»Wenn alles schiefgeht, und das wird es, da bin ich mir sicher, dann werde ich dafür sorgen, dass ich der Letzte bin, der zu dir ins Zimmer kommt. Wie würde dir das gefallen, he? Wir werden es uns im Bett hier so richtig gemütlich machen, nur du und ich.«
Er beugte sich noch einmal über sie, als wolle er sie küssen, leckte dann aber seine eigene Spucke von ihrer Wange. Am liebsten hätte Ellie ihm mitten ins Gesicht gekotzt.
»Schmeckst gut. Mehr davon später – nur du und ich. Und falls es doch klappt, können wir ja trotzdem noch ein bisschen Spaß miteinander haben, was?«
Ellie blickte in seine Augen und konnte nichts darin erkennen.
Er ließ von ihr ab, stand auf und ging aus dem Raum. Nachdem er fort war, hörte sie die Frau etwas zu ihm sagen, woraufhin er sie anschrie. Dann war alles still.
Ellie war nicht dumm. Sie wusste, dass diese Leute sie wahrscheinlich umbringen würden. Vielleicht hatten sie die Frau dabei, damit sie glaubte, dass sie es nicht tun würden, aber Ellie ahnte, dass das nur ein Trick war. Sie wusste nicht, warum sie ihr und ihrer Mom das angetan hatten und wer dieser Mann war, von dem sie redeten – der Mann, der irgendetwas tun sollte, um sie zu retten. Sie hatte keine
Hoffnung mehr, jemals gerettet zu werden. Trotzdem wollte sie nicht weinen. Sie schluckte ihre Angst und ihren Kummer hinunter und verwandelte sie in Wut auf diese Leute, die ihr das angetan hatten.
Sie kroch an den Rand des Bettes und versuchte aufzustehen. In ihrem Kopf drehte sich alles, und ihre Rippen schmerzten. Sie fürchtete umzufallen und suchte am Bettgestell Halt. So blieb sie ein paar Minuten lang stehen, atmete flach und wartete darauf, dass das Schwindelgefühl nachließ.
Nach einer Weile fühlte sie sich zu einer weiteren Bewegung in der Lage, so leise wie möglich, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen im Haus auf sich zu ziehen. Vorsichtig schlich sie um das Bett herum und legte die Hand an das Fenster – besser gesagt an die Bretter, mit denen das Fenster innen am Rahmen verrammelt war. Mit einer Hand stützte sie sich an der Wand ab und tastete mit der anderen an einem Brett bis zu dessen Ende entlang. Dann fuhr sie mit der Hand an dem Fensterrahmen hinauf und hinunter und stieß an der untersten Planke auf einen Nagel, dessen Kopf ein Stück aus dem Holz herausragte.
Sie fasste ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und zog und wackelte mit aller Kraft daran, aber der Nagel bewegte sich nicht. Sie versuchte es erneut, doch wiederum vergeblich. Vor Angst und Enttäuschung lief ihr eine Träne über die Wange. Zornig wischte sie sie ab und schwor sich, dass sie hier nicht sterben und zumindest versuchen würde, sich zu befreien – einen Nagel, ein Brett nach dem anderen. Wenn es ihr gelang, aus der Hütte zu fliehen, während es noch dunkel war, konnte sie sich vielleicht irgendwo verstecken und warten, bis die Männer und die Frau fort waren und jemand sie fand.
Sie zog und zerrte an dem Nagel, bis ihr vor Anstrengung schlecht wurde. Ein heftiges Pochen setzte hinter ihrem verletzten Auge ein, und noch mehr Tränen liefen ihr über das Gesicht.
Sie würde heute Abend noch einen weiteren Versuch unternehmen, sagte sie sich. Sie stützte sich mit der freien Hand an der Wand ab und zog so heftig, wie ihr verletzter Körper es nur zuließ. Der Nagel bewegte sich – oder jedenfalls glaubte sie es. Nein, sie war sich ganz sicher, dass er sich bewegt hatte.
Das reichte. Fürs Erste.
6
13:39 Uhr
Logan saß allein in dem Verhörraum, spielte an einem losen Pflaster an seinem rechten Zeigefinger und starrte auf das Foto von Ellie Grant, das noch immer auf dem Tisch lag. Er wusste nicht mehr, wo er das andere Foto von ihr gelassen hatte, das, das die beiden Schlägertypen in der Eingangshalle auf den Boden hatten fallen lassen.
Ich habe eine Tochter.
Er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen – Tochter – , bis es kein Begriff, sondern nur noch eine leere Worthülse ohne jede
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