Verfehlung: Thriller (German Edition)
stand auf, trat ans Fenster und schaute auf die St Vincent Street hinaus. Einen Moment lang schwieg er, und auch Logan enthielt sich jedes Kommentars.
»Kurz nachdem ich nach Hause kam, habe ich meinen Vater verloren«, sagte Judd. »Krebs.«
»Das tut mir leid«, sagte Logan.
»Ich habe mich in meinem Elend gesuhlt und eine Weile ohne Job herumgehangen. Ich wollte nicht, dass sein Tod mir so nahe ging. Das Problem war nur, dass ich nicht bemerkt habe, wie sehr es meine Mom getroffen hatte. Ich
war ihr einziges Kind und alles, was ihr nach Dads Tod noch geblieben war. Sie ist ein halbes Jahr nach ihm gestorben.«
Judd ging nicht näher darauf ein, woran seine Mutter gestorben war, sondern setzte sich wieder an den Tisch und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
»Ich habe mich dem Suff und dem Selbstmitleid hingegeben, und dann hat Chris Washington angerufen, einer meiner Kumpel aus Afghanistan. Er hatte das mit meinen Eltern gehört und fragte mich, ob ich nicht mal einen Tapetenwechsel gebrauchen könnte. Er arbeitete schon hier in Schottland für Alex, und sie suchten noch jemanden mit Kampferfahrung. Was wir hier tun, hat eigentlich nichts mit dem zu tun, was heute Abend passiert ist. Was ich damit sagen will – wir sind keine Söldnertruppe oder so. Ich hatte nichts mehr, was mich noch in den Staaten hielt, und bin auf Alex’ Kosten mit nicht mehr als einer Tasche voller Klamotten rübergeflogen.«
»Und haben Sie es bereut?«
Judd schraubte die Flasche zu, ehe er antwortete.
»Kein bisschen.«
Die Tür ging auf, und Cahill trat ein. Er nahm neben Logan Platz und musterte ihn, wie Judd es schon zuvor getan hatte.
»Was ist denn?«, fragte Logan. »Bin ich etwa ein seltenes Tier im Zoo?«
Cahill lehnte sich in seinem Stuhl zurück und rieb sich das Gesicht. Er wirkte um Jahre gealtert, fand Logan. Er sprach seinen Gedanken aus.
»Na und?«, versetzte Cahill. »Du siehst selbst aus wie Scheiße, Logan.«
»Ich weiß.«
Es folgte betretenes Schweigen, das Logan schließlich unterbrach.
»Danke«, sagte er.
»Keine Ursache.«
»Ich meine es ernst, Alex. Du hast mir das Leben gerettet.«
»Das war Bails, nicht ich«, sagte Cahill und nickte in Judds Richtung.
»Aber du hast ihn hinter mir hergeschickt«, sagte Logan mit Nachdruck. Seine Stimme klang brüchig.
»Du hast es in die Wege geleitet.«
Cahill nickte noch einmal und stand auf. »Kommt«, sagte er und gab Logan mit einer Kopfbewegung zu verstehen, ihm zu folgen.
Judd erhob sich, während Logan noch auf seinem Stuhl sitzen blieb und einen weiteren Schluck trank. Dann stellte er die Flasche ab, wischte mit dem Finger über einen Wassertropfen, der daran hinunterlief, und sah zu, wie sich ein weiterer bildete, den er ungehindert auf die Tischplatte fallen ließ.
Cahill und Judd ließen ihn schweigend gewähren.
»Ich habe noch ein Foto von diesen zwei Typen bekommen«, sagte Logan und sah Cahill dabei an. »Von einem kleinen Mädchen. Sie ist Pennys Tochter.«
»Ruf die Jungs schon mal zusammen«, wies Cahill Judd an. »Sie sollen drüben auf uns warten. Wir kommen gleich nach.«
Judd nickte und verließ den Raum.
»Sie ist auch meine Tochter, Alex«, sagte Logan, nachdem Judd gegangen war. »Die Polizei überprüft noch die DNA-Spuren, die sie von ihr in Pennys Haus gefunden haben, aber ich weiß es. Ich bin mir sicher. Sie wird vermisst, und
ich fürchte, diese Kerle haben sie in ihrer Gewalt. Die Kleine ist das Druckmittel, das sie gegen mich in der Hand haben. Es geht gar nicht darum, mich umzubringen.«
Cahills Augen schienen sich zu verfinstern. Er atmete in kurzen, flachen Zügen.
»Ich habe dir doch die Geschichte davon erzählt, wie mir mal eins meiner Mädchen in den Ferien verloren gegangen ist – und was das in mir ausgelöst hat?«
Logan sagte, dass er sich daran erinnere.
»Das hier ist irgendwie das Gleiche, Logan. Komm, lass uns mit meinen Jungs reden.«
Dritter Tag
1
Mittwoch, 00:01 Uhr
»Weißt du, Alex, bis vorhin glaubte ich noch, dass du irgendwie in der Sache mit drinsteckst«, sagte Logan, während sie den breiten Flur entlanggingen, der tiefer in den Bürokomplex von CPO führte.
Cahill lief unbeirrt weiter.
»Das habe ich mir schon gedacht«, sagte er. »Und weiter?«
»Ich wollte dir nur sagen, dass es mir leidtut.«
»Das kannst du dir sparen. Wir sind Freunde, aber meine Geschäfte erfordern ein hohes Maß an Diskretion. Man könnte sogar Geheimhaltung dazu sagen. Ich kann deinen
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